Niespodzianka!

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Überraschung, wir sind in Polen. Zunächst in Łeba, um dort große Mengen Sand zu besichtigen. Der kleine Strich im L bedeutet, daß das L stumm ist. Es wird also Weh-ba ausgesprochen. Glaube ich. Es ist ein Touristenort von einer ziemlich üblen Sorte und es ist mein erster Kontakt mit Polen. Emma und Birgit wollten hierher wegen des Sandes.

Polen an Horizont
Polen an Horizont

Nach einer unproblematischen Überfahrt von Christiansö, zum großen Teil gesegelt, zum kleinen Teil gemotorsegelt, tauchte am Morgen eine flache Sandküste am Horizont auf. Dann ging es eine zum Kanal ausgebaggerte Flußmündung hinein zu einem rechteckigen Hafenbecken für Yachten.

Mein erstes Stück Polen
Mein erstes Stück Polen

Nicht besonders schön aber man liegt absolut ruhig – etwas, das wir eigentlich noch gar nicht hatten auf dieser Reise und erst recht nicht in Christiansö.
Birgit kommt vom Hafenmeister zurück mit der Auskunft, daß es 60 Zloty kostet. Mir war nicht klar, daß Polen nicht am Euro teilgenommen hat aber so ist es wohl. Ein Zloty sind 23 Euro Cent. Damit ist der Preis nicht zu beantstanden.
Birgit will noch schlafen. Ich hole die Klappräder heraus und fahre mit Emma durch den Ort. Unsere Straße heißt „ul.Turistyka“, „Touristen-Straße“. Auch als Tourist würde ich ja nie in so einer Straße wohnen wollen. Das sehen die Polen aber wohl anders, denn es gibt hier z.B auch „Bar Turistyka“.
Wie gesagt finde ich den Ort zum abgewöhnen, unter anderem, weil alles irgendwie zusammengezimmert ist – mein festsitzendes Vorurteil den Polen gegenüber. Aber wir finden einen Geldautomat (nicht zusammengezimmert sondern von Wincor-Nixdorf) und lassen uns in der Touristen-Pizzeria den Weg zum Supermarkt erklären.

Tröööt
Tröööt
Labiryntu
Labiryntu

Neben dem Supermarkt entdeckt Emma ein Labyrinth aus hohen Hecken mit recht beachtlichen Ausmaßen, genug, um stundenlang darin herumzuirren. Um das zu verhindern, kaufe ich an der Kasse noch eine Karte dazu und bleibe mit Emma so lange vor dem Eingang sitzen, bis sie auf der Karte die richtige Route gefunden und mit einem geliehenen Stift markiert hat. Trotzdem dauert es eine halbe Stunde bis zum Ziel.

Abendessen im Fischimbiß
Abendessen im Fischimbiß

Abends fahren wir nochmal mit Birgit los, der der Ort viel besser gefällt, und finden einen Fisch-Imbiß, der meinen Favoriten, Dock House in Sag Harbor auf Long Island, zwar nicht erreicht aber trotzdem sehr gut ist.

auf zum Sand
auf zum Sand

Am nächsten Tag gehen wir den Sand besichtigen. Wir fahren mit den Fahrrädern knapp 8 Kilometer in den Slowinski Nationalpark hinein. Hätten wir die Fahrräder nicht, hätten wir uns von den Touristenneppern abziehen lassen müssen für Transport mit dem Golf Cart. Hier sind die Wanderdünen, die eigentliche Attraktion von Leba. Wir laufen drauf herum, bis mir nach 1 1/2 Stunden die Füße wehtun.

Sand
Sand
mehr Sand
mehr Sand

Emma füllt eine Flasche Sand ab, die sich zu dem Granit von Bornholm gesellen wird. Solcherlei gewichtige Mitbringsel müssen wir auf der Steuerbordseite vorn im Schiff stauen um den Trimm zu verbessern.

Am Tag danach geht es weiter die Küste hinunter. Wir wollen nach Danzig und planen diesmal keine Nachtfahrt. Es weht aus West, also die richtige Richtung, aber mit giftigen Böen von 30 Knoten. Wir wollen mal sehen, wie viele der 70 Meilen bis Danzig wir schaffen.

wir brettern nach Danzig
wir brettern nach Danzig

Am Ende schaffen wir alle 70 – die längste Tagesetappe, die wir je hatten. Das liegt an erstklassiger Fahrt von meistens über 7 Knoten – im Surf die Wellen herunter sehe ich zweimal eine 10.

ich naß, Emma und Birgit trocken
ich naß, Emma und Birgit trocken

Gegen Ende müssen wir motorsegelnd hoch am Wind und gegenan bei heftigen Schauern in der einsetzenden Dämmerung die Danziger Bucht überqueren, um in die Hafenkanäle von Danzig einzulaufen.

Danziger Hafenkanäle in der Abenddämmerung
Danziger Hafenkanäle in der Abenddämmerung

Das war ein schönes Stück segeln und wir sind ordentlich geschafft, haben es aber gut überstanden. Emma hat sich unter der Sprayhood ein Nest aus Cockpitkissen gebaut und dort auf dem ruhigeren letzten Stück im Wunschpunsch-Buch von Michael Ende gelesen. Ich sehe den vielen weiteren Meilen bis St. Petersburg jetzt zuversichtlich entgegen.

Leben auf der Festung

 

Christiansö im Hintergrund, Frederiksö davor
Christiansö im Hintergrund, Frederiksö davor

12 Seemeilen von Bornholm entfernt liegen ein paar Granitinselchen namens Ertholmene („Erbseninseln“) mitten in der Ostsee. Zwei davon, Christiansö und Frederiksö, bilden zwischen ihnen einen natürlichen Hafen. Das ganze wurde für Jahrhunderte als Festung mit Kanonenbatterien genutzt. Obwohl man Festungen in der Zeit der Interkontinentalraketen nicht mehr braucht, gehören die Inseln immer noch dem dänischen Verteidigungsministerium und wurden nicht in einen Vergnügungspark umgewandelt – ein netter Zug der Dänen.

Hafen im Abendlicht
Hafen im Abendlicht

Es ist Platz für vielleicht 20 Segelboote und außer diesen gibt es nur eine Handvoll Übernachtungsmöglichkeiten, 6 davon in umgebauten Kerkerzellen. Im Sommer kommt zweimal täglich eine Fähre und bringt eine Runde Touristen, die nach 3 Stunden durch die zweite Runde ersetzt wird und ab 16 Uhr ist alles wieder still. Außer der Fähre gibt es noch das Postboot Peter, mit dem Bier und alles weitere herangeschafft wird und mit dem die 90 dauernden Bewohner im Winter zum Zahnarzt fahren können.

Ein alter Marstalschoner führt ein zweites Leben als Postboot
Ein alter Marstalschoner führt ein zweites Leben als Postboot

 

Dienstfahrzeug des Postbeamten
Dienstfahrzeug des Postbeamten

Es gibt keine Kabel nach Bornholm. Strom wird mit Generatoren erzeugt, die Wasserversorgung war früher in Zisternen gesammeltes Regenwasser und ist jetzt mit Meerwasserentsalzung. Für Telefon und Internet gibt es nur das Handynetz von Bornholm, am Horizont zu sehen, aber bestimmt nicht von jeder Stelle der Insel. Einige der Bewohner müssen wohl zum Telefonieren auf den nächsten Hügel steigen und auch an unserem Liegeplatz klappte es nur eben so. Als sich noch jemand neben uns ins Päckchen legt, ist es vorbei mit dem Internet.

Sonne gab es von morgends bis abends aber Wind auch, mehr als genug. Die beiden Nächte, die wir dort verbracht haben, waren unruhig. Es ist ein ständiges Vogelgeschrei von der benachtbarten Schäre Grasholm auf der zigtausende Zugvögel nisten, sagt der Inselprospekt.

Grasholm mit Vogelkolonie
Grasholm mit Vogelkolonie

Am anderen Ende von Christiansö, neben der Schule mit einem Klassenraum und einem Lehrer, gibt es einen Tümpel, aus dem ein großes Froschkonzert klingt.

Für die Bewohner Christiansös und Frederiksös und für uns gibt es einen Köbmand, einen Kiosk, eine Gaestgiveri und einen Möntvask (Münzwäsche).

Köbmand und Gaestgiveri
Köbmand und Gaestgiveri

Letztere, die es dank der neuen Trinkwasserversorgung gibt, ist preiswert und wir machen ausgiebigen Gebrauch.

fast nur unsere Wäsche
fast nur unsere Wäsche

Direkt daneben gibt es eine Wiese mit Wäscheleinen, die ich für einen öffentlichen Trockenplatz halte. Während ich zig Meter Wäsche aufhänge, wie damals in der Waschmittelreklame, kommt jemand und klärt mich auf, daß jede Leine einer anderen Familie gehöre und privat sei. Aber obwohl die Bewohner bestimmt genervt sind, täglich zweimal wie im Zoo betrachtet zu werden, organisiert er das Ganze für mich. Von seiner Leine kann ich die Hälfte benutzen und eine andere ganz, weil diese Familie ausgewandert sei. Dann solle ich noch diese und diese benutzten, denn diese Familien waschen immer früh und da noch nichts da hängt, wird auch nichts mehr kommen.

Der Radlader wurde bestimmt extra für diese Tür ausgewählt
Der Radlader wurde bestimmt extra für diese Tür ausgewählt

Im Inselprospekt lese ich, daß der letzte Fischer die Insel 2013 verlassen hat. Ich sehe aber das Boot des Fischers nicht benutzt doch einsatzbereit direkt neben der Fußgängerbrücke liegen, die Christiansö und Frederiksö verbindet. Das muß wohl so eine Art Stellenanzeige sein.

alte Drehbrücke mit Fischerboot daneben
alte Drehbrücke mit Fischerboot daneben

Vor langer Zeit gab es eine große Seeschlacht um Christiansö. Die englische Marine wollte die Inselfestung einnehmen, weil englische Handelsschiffe in der Ostsee laufend überfallen wurden von vom dänischen König sanktionierten Kaperschiffen, die Christiansö als Basis benutzten. Die Dänen wurden beschossen, konnten sich aber nicht wehren, weil die englischen Kanonen weiter reichten. Zum Glück für die Dänen drehte der Wind und trieb die englischen Schiffe nah genug heran für die dänischen Kanonen.
Wir versuchen, Emma den Krieg zu erklären, soweit man das kann – daß es früher wilde Zeiten waren, in denen sich auch Könige nicht zu fein waren, Piraten zu unterstützen, wenn es ihnen nützte, und daß es solche Dinge auch heute noch gibt an anderen Orten in der Welt. Beim Besuch der Hammerhus Festung auf Bornholm hatten wir ihr schon erklärt, daß Steuern zahlen früher eher zu tun hatte mit Schutzgelderpressung als mit Finanzierung öffentlich bereitzustellender Dienstleistungen wie Schulausbildung (das bringt mich auf eine andere Frage: Kriegen wir jetzt eigentlich Steuern erlassen, wenn wir Emma sieben Wochen lang selbst schulen?).

Christiansö Skole - wir überlegen, Emma dort für einen Vormittag abzugeben
Christiansö Skole – wir überlegen, Emma dort für einen Vormittag abzugeben

Am Abend des dritten Tages und der zweiten Nacht hier machen wir das Boot klar für den nächsten Overnighter. Ich bin nervös wegen des Windes, der schon den ganzen Tag in den Riggs der Boote heult und den Schaumkronen überall auf See. Umso gründlicher bereite ich alles vor und rigge auch den Spinnakerbaum für das Ausbaumen der Genua auf der Seite, auf der wir ihn brauchen werden. Ich halte das Boot in der Mitte des kleinen Hafenkanals – Kreise drehen kann man hier nicht – während Birgit und Emma die Fender wegpacken und dann geht es hinaus in das wilde Gerolle. Emma jammert aber als eine viertel Stunde später die Segel stehen und die Wellen unter dem Boot durchrollen ist die Welt wieder in Ordnung und sie spielt Ratespiele mit Birgit. Auf nach Polen.

 

Titel hier eingeben

Hammerhavn mit Hammerhus-Burg
Hammerhavn mit Hammerhus-Burg

Als wir in Bornholm angekommen waren, gingen wir als erstes zu ishuset, das ist ein kleiner Eisladen mit vorzüglichem Vanilleeis. Dann sind wir mit dem Bus einmal um die halbe Insel gefahren und anschliessend hat Mama herausgefunden, dass Streusel auf Dänisch Tivoli heißen und das Rönne (die Hauptstadt von Bornholm) früher Rödne hieß, was verfault bedeutet. Außerdem hat Mama mir erklärt, das die Menschen früher noch keine Kanalisation hatten und desshalb haben die Menschen die Kacke aus dem Fenster geworfen.

Mann läuft, Mann läuft
Mann läuft, Mann läuft

Darum war es ratsam, in der Mitte der Straße zu gehen und immer zu rufen: „Mann läuft – Mann Läuft“.

Richtung Hammerhavn
Richtung Hammerhavn

Nach 3 Tagen fuhren wir nach Hammerhavn. Als wir in Hammerhavn angekommen waren, sammelte ich ganz super viel Granitsteine.

Granit
Granit

Dann wanderten wir zu einer alten Schlossruine namens Hammerhus. Am nächsten Tag enddeckten wir dass auf dem Weg zu der Schlossruine Zecken sind. Mama hatte eine auf ihrem Bein.

Weg zur Burg
Weg zur Burg

Am zweiten Tag machten wir eine Radtour nach Sandvig und Allinge.

Folkemödet
Folkemödet

Dort hatte es gerade ein großes Volksfest gegeben (das wir leider verpassten).

Sommernacht in Hammerhavn
Sommernacht in Hammerhavn

Ab jetzt in der Ferne

Wir sind in der Ferne angekommen – und zwar auf Bornholm, wie geplant. Ein Overnighter hat uns hingebracht. Nur zur Verdeutlichung: typische Tagesetappen von Kiel hierher wären gewesen Heiligenhafen, Warnemünde, Barhöft, Saßnitz, Rönne. Also 5 volle Tage segeln mit 2 langen Schlägen, Warnemünde-Barhöft und Saßnitz-Rönne, beide gut 50 Meilen. Die Tage wären gefüllt gewesen mit auf See sein, Hafen ansteuern und verlassen, festmachen, Hafengeld bezahlen, Route für den nächsten Tag planen. Viel gesehen von den Orten hätten wir deshalb nicht (in unserem Fall sind wir auch überall schon gewesen). Statt dessen sind wir nach ruhigen Vorbereitungen am Mittwoch um 14h in Kiel losgekommen. Die See war die ganze Zeit ruhig – zu ruhig, so daß wir die ganze Strecke motort oder ge-motorsegelt sind.

auf See Richtung Bornholm
auf See Richtung Bornholm

Wegen der ruhigen See war es aber sehr entspannt. Emma hat einen Harry Potter-Film gesehen, Birgit hat auf dem Sofa gelesen und ich habe im Cockpit oder am Navitisch gesessen und aufgepaßt. Zweimal war ein Verkehrstrennungsgebiet zu überqueren. Das ist ein Bißchen wie zu Fuß über die Autobahn laufen – spannend, hat aber gut geklappt. Zwischen Mitternacht und 1 Uhr hat mich Birgit abgelöst und ich habe bis nach 4 Uhr recht gut geschlafen. Irgendwann ist Emma aufgewacht in Ihrem Nest-Bett auf dem kleinen Sofa in der Mitte des Salons, dem ruhigsten Platz, den es an Bord gibt. Später ist Birgit von allein aufgewacht und ich habe noch ca. 3 1/2 Stunden geschlafen, zusammen also 7. Weil es so ruhig war, habe ich nach dem Aufwachen geduscht und dann Handtuch und Bettdecken draußen zum trocknen und lüften aufgehängt.

auf Mercators Spuren
auf Mercators Spuren

Wir haben sogar richtig Schule gemacht und zum Thema Sachkunde habe ich Emma die Mercator-Kartenprojektion am praktischen Beispiel erklärt. Das ist eine mögliche und die verbreitetste Lösung für das Problem, die kugelförmige Oberfläche der Erde auf einem flachen Stück Papier darzustellen (oder dem Bildschirm in Google Maps). Würde man eine DIN A4-Seite auf einen Globus legen wollen, gäbe es Knitter. Würde man es mit einer Briefmarke versuchen, ginge es schon besser. Das Knitter-Problem tritt also vor allem bei einem großen Maßstab auf.

Bei der Mercator Projektion wird sozusagen eine Glasscheibe parallel zur Erdachse neben die Erde gestellt. Dann werden die Umrisse der Länder mit Filzstift auf dem Glas nachgezeichnet, während man im rechten Winkel durch das Glas blickt.

eine runde Insel wird oval dargestellt
eine runde Insel wird oval dargestellt

Je schräger die Erdoberfläche hinter dem Glas verläuft, desto mehr werden die Umrisse des Landes verzerrt. Eine runde Insel weit im Norden wird zu einem Oval. So kann man es natürlich nicht lassen. Der Deutsch-Flämische Kartograph Gerardus Mercator hat 1569 das Problem gelöst dadurch, daß er das Papier mit der ovalen aber in Wahrheit runden Insel in die Lange gezogen hat und zwar oben mehr als unten. Das ist der Grund, weshalb man in Seekarten die Seemeilen immer am rechten oder linken Rand in der Höhe ablesen muß, in der die Entfernung gemessen wurde. Wir haben das mit Frischhaltefolie simuliert aber es ist uns dabei natürlich nicht gelungen, oben mehr zu dehnen als unten.

durch Ziehen wird die Insel wieder rund
durch Ziehen wird die Insel wieder rund

Keine Ahnung, wie Mercator das gemacht hat. Er hatte ja wohl noch nichtmal Frischhaltefolie.

Nörrekas/Rönne
Nörrekas/Rönne

Um kurz nach 17 Uhr am Donnerstag sind wir in Rönne angekommen. Weil wir alle ausgeschlafen waren, sind wir nach dem Festmachen herumgewandert, haben einen süßen Eisladen gefunden und die Stadt erkundet. Wir haben also nur 26 Stunden gebraucht wofür andere 5 volle Tage verwendet hätten. Das ist der Trick, mit dem wir in 3 Monaten 3.000 Seemeilen (5.556 km) zurücklegen wollen, in langsamem Fahrradfahrtempo (6 Knoten = 11,1 km/h), und trotzdem noch Zeit haben wollen, tagelang an schönen Orten herumzuliegen.

Ich hoffe es klappt. Und tagelang herumliegen bitte zur Entspannung, nicht wegen Bootsreparaturen.

Tschüß Kiel – es war schön bei Dir

 

vor dem altehrwürdigen Kieler Yacht Club
vor dem altehrwürdigen Kieler Yacht Club

In Kiel liegen wir in Düsternbrook im sogenannten Millionärsbecken – in unserem Fall trifft das leider nicht zu, aber wir waren schon oft hier und es gefällt uns. Der Hafenmeister begrüßt mich mit Namen und wir bekommen eine Menge Besuch. Ich hole das Auto aus Hamburg und mache mich an die Liste der Erledigungen. Morgends, eher spät-morgends, gibt es wochentags immer Unterricht. Danach Erledigungen. Beziehungsweise Werkunterricht.

Früher mußte ich mir von der Werft zwei Leitern holen und zu einer wackeligen Konstruktion zusammenbinden - jetzt brauche ich nur Emma
Früher mußte ich mir von der Werft zwei Leitern holen und zu einer wackeligen Konstruktion zusammenbinden – jetzt brauche ich nur Emma
Emma the rigger
Emma the rigger

 

Dem Mathematiklehrer...
Dem Mathematiklehrer…
wurde von seiner Schülerin ein Streich gespielt
wurde von seiner Schülerin ein Streich gespielt

Eines morgens bekomme ich eine Mail von Marinetraffic, daß „Constance“ in Brunsbüttel angekommen ist. Das ist das Boot von Tom und Ros Cunliffe, englischen Segelautoren, die wir auf unserer Reise 2013 in Cuxhaven kennengelernt haben und die uns den „Overnighter“ beigebracht haben – einen über-Nacht-Schlag, bei dem man einen Tag, die Nacht und den folgenden Tag oder einen Teil davon unterwegs ist. Weil man dabei keine Zeit verliert mit in den Hafen fahren, aus dem Hafen fahren und tausend Kleinigkeiten, kommt man viel weiter als bei Tagesschlägen. Wer weiß, wie unsere Reise damals verlaufen wäre, wenn wir den riesigen Unterschied nicht gleich ganz zu Anfang gezeigt bekommen hätten.

Wenn man in Brunsbüttel ist, fährt man wohl in den Kanal und kommt am anderen Ende in Kiel heraus. So ein netter Zufall. Ich simse ihnen. Sie wollen am nächsten Tag gleich nach Heiligenhafen weiter und wir verabreden uns deshalb dort. Sie sind extrem erfahrene Segler aber vor allem auch sehr nette Leute und wir verbringen einen schönen Abend bei Ihnen an Bord. Emma lernt von Ros Drachen aus Papier zu falten, die sich jetzt bei uns an Bord vermehren wie die Tribbles von Star Trek. Sie bekommt für diesen Abend eine Englischstunde gutgeschrieben, weil sie diesmal, anders als 2013, dem Gespräch lauscht und laufend „was heißt…?“ fragt.

Invasion of the Dragons
Invasion of the Dragons

Heute schließlich, nachdem die Liste beinahe ganz fast völlig erledigt ist und wir noch ein Tiefdruckgebiet abgewartet haben, bin ich ein letztes Mal nach Hamburg gefahren, habe das Auto abgestellt, die Batterie abgeklemmt, die letzten vergessenen Sachen mitgenommen, die Schlüssel beim Nachbarn abgegeben und bin mit der Bahn zurück nach Kiel gefahren. Denn der Plan ist, daß es morgen nach Bornholm losgehen soll.

Ob was draus wurde könnt Ihr bald hier lesen. Denn beim Fahrtensegeln gilt im Besonderen, daß Pläne dazu da sind, geändert zu werden.

Schlüsselbund fast leer
Schlüsselbund fast leer

Losgefahren

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Glückstadt bei der Abfahrt

Obwohl es zuletzt kaum noch so aussah, sind wir tatsächlich losgefahren. Allerdings bisher nur ein Stück die Elbe hoch und durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel. Vorher wurde noch eingekauft.

Proviantieren
Proviantieren
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Die Werft ist kein Kinderspielplatz!

Als Mann bin ich zwar nicht sicher aber das Hinter-sich-lassen der Welt in der Winterlagerhalle und der Wechsel in den „schwimmt“-Zustand kommt mir jedes Mal wie eine Geburt vor. Zwar liegt überall noch Werkzeug herum und die restlichen Arbeiten starren einen aus jeder Ecke an, aber das Boot bewegt sich sanft im Wasser und alles ist anders – das Blut fließt plötzlich andersherum durchs Herz.

Und dann öffnete sich das Tor und entließ uns in die große weite Welt.

Hinaus in die weite Welt
Hinaus in die weite Welt

Danach kam ein Stück Elbe und, wie schon so oft vorher, der Nord-Ostsee-Kanal.

Schleuse Brunsbüttel für uns ganz allein und ohne Warten
Schleuse Brunsbüttel für uns ganz allein und ohne Warten

Weil wir ab jetzt Lehrer sind, wurde im Kanal erstmal ein Stundenplan geschrieben. Und eine Regel aufgestellt: jede Minute, die die Schülerin diskutiert, ob es nun gemacht werden soll oder nicht, wird doppelt an die Schulzeit angehängt!

Stundenplan schreiben
Stundenplan schreiben

Seit Dienstag 30.5. liegen wir nun in Kiel und erledigen die Erledigungen, für die im letzten halben Jahr keine Zeit war. Das hätten wir zwar auch in Glückstadt machen können, aber für mich ist es ein wichtiger psychologischer Unterschied:

Wir sind offiziell losgefahren und nicht mehr zu Hause.

Julies Abenteuer jetzt im Internet

Hallo,

nach kaum 5 Jahren der Vorbereitung (lies: Verspätung) gibt es jetzt einen Blog von Julie. Julie heißt unser Boot, ein sogenanntes „Average White Boat“ (AWB), gebaut 1998 von Jeanneau, das Birgit und mir seit 2006 gehört. Für Emma, 9 Jahre, war es schon immer da.

„Julie“ heißen aber auch wir, Birgit, Emma und Henning, zumindest, wenn wir auf dem Boot leben und unterwegs sind. Das ist nämlich so bei Langfahrtseglern: man benennt eine andere Familie nach deren Bootsnamen, nicht nach dem Familiennamen.

Langfahrtsegler sind wir seit 2013, als wir bis zu Emmas Einschulung von Hamburg zu den Kanaren und den Azoren und zurück nach Hamburg unterwegs waren. Wir sind dabei nicht untergegangen und waren 2 Tage vor Schulbeginn rechtzeitig zurück. Davon aber vielleicht ein anderes Mal mehr.

Jetzt wollen wir von Juni bis August die östliche Ostsee umsegeln. Wieder müssen wir rechtzeitig zum Schulbeginn zurück sein und wir sind auch wieder verspätet. Aber auch das ist so bei Langfahrtseglern!

Die Julies