In die Dunkelheit

Eine sehr schöne Nachtfahrt mit angenehmem Segeln hat uns nach Visby gebracht. Die Hochgeschwindigkeitsfähre von Nynäshamn nach Visby ist dabei Kreise um uns gefahren. Mit 30 Knoten, weit mehr als nötig ist, um auf den bloßen Füßen Wasserski zu laufen, ist sie uns 3 mal auf der Backbordseite entgegengekommen und hat uns 3 mal auf der Steuerbordseite überholt.

Dom in Visby
Dom in Visby

Egal, denn es gab einen prima Sonnenaufgang über dem Meer. Untergegangen ist die Sonne noch in den südlichen Stockholmer Schären, unangenehm früh, und es war ziemlich dunkel nachts. Von dem hellen Schein im Norden war auch nur noch ein Hauch zu sehen. Das Dunkel des Winters kommt mit Riesenschritten auf uns zu, weil wir gleichzeitig nach Süden fahren und die Tage kürzer werden. Als 2013 die Tage kürzer wurden, standen wir noch am Anfang unserer Reise in den Süden. An den dunkelsten Tagen dieses Winters waren wir in Marokko und Lanzarote. Da hat mich die Dunkelheit nicht gestört. Aber bei einer Reise in den Norden bedeutet Dunkelheit auch das Ende der Saison und Heimkehr.

Visby Marina
Visby Marina

Für mich hilft da nur viele Fotos machen, die ich bei der Arbeit im Dezember, wenn es Nachmittags um fünf schon dunkel ist, bei Schneeregen und Produktionsproblemen betrachten kann. Und Pläne schmieden für den nächsten Sommer! Daß es wieder nach Norden geht, ist für mich eigentlich ohne Alternative. Zum einen wegen der Helligkeit und zum anderen, um dem schlechten Wetter zu entkommen. Vielleicht gibt es auch verregnete und stürmische Sommer in Schweden aber das hatten wir noch nie. Auf dieser Reise gab es nur eine kleine Handvoll trüber Tage. Heulende Böen, 10 Grad Lage im Hafen und waagerecht fliegenden Regen, wie schon öfter Sommers in Dänemark, hatten wir nicht. Unter den 1.000 Fotos dieser Fahrt finde ich nur etwa 10 mit bewölktem Himmel oder Regen. Nun, vielleicht macht man bei Regen weniger Fotos aber ich finde, das sagt trotzdem etwas. Es ist ein Bißchen so, wie damals im Winter auf den Kanaren und Azoren, wo wir fünf Monate so gut wie keinen Regen hatten, so daß Deck und Rigg mit einer dicken roten Staubschicht aus Saharasand überzogen war.
Eine meteorologische Theorie besagt, daß entweder Deutschland oder Skandinavien einen guten Sommer hat, nicht beide gleichzeitig, weil das Azorenhoch, wenn es kräftig ausgebildet ist und weiter nördlich liegt, die auf dem Nordatlantik geborenen Tiefs auf ihrem Weg nach Osten etwas nach Norden schubst. Dann hat Skandinavien Pech und Deutschland Glück. Ist das Azorenhoch schwach und weiter südlich, ziehen die Tiefs über Deutschland hinweg und Skandinavien hat gutes Wetter. Diesen Sommer war es wohl letzteres. Die drei weiteren Male, die wir bisher mit dem Boot in Schweden waren, war auch immer gutes Wetter. Deswegen halten wir es für eine statistisch belegte Tatsache und wollen wieder hin.

Visby ist die Hauptstadt der schwedischen Insel Gotland, mitten in der Ostsee gelegen. Sie hatte ihre Hochzeit im Mittelalter als bedeutende Hansestadt. Wenn fast aller Handel über die See stattfindet, ist eine Insellage kein Hindernis. Die Stadt ist immer noch voller mittelalterlicher Gebäude und die Stadtmauer fast vollständig erhalten.

Villa Villekulla
Villa Villekulla

Es ist aber ein anderes historisches Gebäude, das Emma viel mehr interessiert: die original Villa Kunterbunt (Villa Villekulla auf schwedisch). Original deshalb, weil die Pippi Langstrumpf-Filme hier gedreht wurden. Die ehemalige Filmkulisse steht jetzt in einem Vergnügungspark, der Birgit und Emma besser gefallen hat, als das Legoland in Billund.

Pippis Pferd
Pippis Pferd

Er liegt etwas außerhalb der Stadt und für den Transport haben wir einen prima Service der Marina von Visby genutzt: das „Free Car“ – ein abgehalfterter aber fahrtüchtiger Skoda, den jeder Marinagast einfach nehmen kann, wenn er vorher seinen Namen auf eine Liste schreibt. Der Mietvorgang ist sogar noch etwas einfacher als in Las Palmas: man nimmt den Schlüssel von einem Haken an der Wand, steigt ein und fährt los. Wenn man zurück ist, hängt man den Schlüssel wieder an den Haken und wirft etwas Benzingeld in eine Box – wenn man will, kontrolliert wird es nicht. Jeder darf nur eine Stunde pro Tag unterwegs sein, aber weil wenig los war, durfte ich das Auto zweimal haben, um Birgit und Emma zum Park zu fahren und wieder abzuholen.

Tschüß Visby
Tschüß Visby
Leuchtturm Lange Erik an Ölands Nordspitze
Leuchtturm Lange Erik an Ölands Nordspitze

Der nächste Stop ist Öland, die andere große schwedische Insel. Ö-land heißt – etwas phantasielos – „Inselland“. Schräg gegenüber, zu Estland gehörend, liegt Saaremaa und dieser Name, Niels aus Stockholm hat mich darauf aufmerksam gemacht, heißt genau das gleiche auf Estnisch. Saare=Insel, Maa=Land.
Auf dem schwedischen Inselland machen wir aber nur ein paar Schritte – auf einer häßlichen Betonbrücke in der ansonsten idyllischen kreisrunden Bucht an ihrer Nordspitze, wo wir eine Nacht verbringen.

Wir nähern uns der Schäre
Wir nähern uns der Schäre

Danach kommt eine Nacht an einer Schäre, von denen es weniger gab als gehofft auf dieser Reise, diesmal sogar längseits dran liegen. Das Fahrwasser dahin ist extrem eng und voller Steine. Sehr anstrengend, aber der Platz ist es wert – finde ich. Emma findet die Insel zu klein für Exkursionen und daß das Wasser zu viel Quallen hat zum Baden. Immer gibt es was zu meckern! Trotzdem ein Premium-Liegeplatz.

Schärenidyll
Schärenidyll
diese Schäre war etwas zu klein für ausgedehnte Wanderungen
diese Schäre war etwas zu klein für ausgedehnte Wanderungen
gut abgefendert
gut abgefendert

Die Bewohner felsiger Küsten sagen, daß es nur zwei Sorten von Leuten gibt. Diejenigen, die behaupten, noch nie auf einen Felsen gebrummt zu sein und die Ehrlichen. Seit dem Morgen nach dieser Nacht zählen wir jetzt auch zu den Ehrlichen. Ich habe beim Losfahren von der Schäre die Betonnung verwechselt und bin auf der falschen Seite der einzigen roten Tonne dort vorbeigefahren. Da ich mir nicht ganz sicher war, bin ich super langsam gefahren, nur etwas über 3 Knoten, aber es hat trotzdem ordentlich gekracht. Bei Felsen wie hier läuft man nicht auf sondern man donnert dagegen und prallt wieder ab. Es ist keine Frage, ob man wieder freikommt. Man ist sofort wieder frei und fängt an abzutreiben. Emma, die, wie immer, wenn wir durch schöne Natur fahren, unter Deck Mediathek-Folgen gesehen hat, ist vom Stuhl gefallen. Birgit dachte, wir würden gleich sinken. Aber ich war eigentlich erleichtert, denn es war ja klar, daß es irgendwann passieren mußte und besser so als mit voller Rumpfgeschwindigkeit. Die Kräfte, die auf die Kiel-Rumpfverbindung wirken, sind dann viele Mal so hoch wie bei 3 Knoten und bei Plastikbooten wird es dann ernst. So habe ich aber noch etwas mehr Vertrauen zu unserem Boot gewonnen und werde im Winterlager wohl nur etwas spachteln müssen.
Da wir das jetzt abgehakt haben, kann es weitergehen auf der Liste der Bootsunfälle. Als nächstes käme dann unfreiwillig Trockenfallen. Weiter hinten dann die Königsklasse: ein Knock-Down (das Boot schlägt quer vor einer gewaltigen brechenden See und der Mast schlägt ins Wasser oder wird untergetaucht). Darf aber gerne noch eine Weile dauern. Auch das Trockenfallen.

Nach einigen Meilen Kriechfahrt, wo wir uns mit manchmal 2 Metern Abstand an Steinen vorbeiquetschen, geht es in den Kalmarsund zwischen Öland und dem schwedischen Festland. Frischer Wind genau von vorn. Ziemlich frischer Wind und die See baut sich auf. Es geht langsam und es sind noch einige Meilen bis Kalmar. Erst setze ich das Groß dazu und falle dann etwas ab und kreuze mit Motorunterstützung, kleinem Vorsegel und Groß. Ein anderes Boot will in die gleiche Richtung und kreuzt auch. Wir laufen mehr Höhe und sind schneller, aber nur etwas. Es ist eine Baltic Yachts (ein schnelles Boot), sie liegen auf der Backe, die Gischt spritzt und ich sehe schwarze Carbonsegel. Es scheint, sie nehmen nicht den Motor zu Hilfe, so wie wir, und sind trotzdem nur etwas langsamer. Ich habe ein leicht schlechtes Gewissen, möchte aber trotzdem schnell in Kalmar ankommen. Auf dem AIS sehe ich den Namen „Diva“ und sie haben eine deutsche Flagge am Heck. Sie rufen uns über Funk und teilen mit: „wir vermissen den Motorkegel“. Damit sollten wir eigentlich anzeigen, daß unser Motor läuft und wir deshalb nicht als Segelfahrzeug vorfahrtberechtigt sind. Es geht Ihnen aber nicht um Vorfahrt sondern sie wollen nur sticheln, daß wir unfair kämpfen würden. Stimmt. Mir fehlt halt das Kompetitive. Das fängt schon bei Gesellschaftsspielen an. Wenn es mit Motor besser geht als ohne, dann wird gemotorsegelt. Wir haben unser Boot um zu reisen und es geht darum, möglichst angenehm von A nach B zu kommen.

Marina von Kalmar - wir liegen neben unserem ehemaligen Vermieter
Marina von Kalmar – wir liegen neben unserem ehemaligen Vermieter

Der Hafen von Kalmar ist voll. Ich sehe einen Platz mit einer freien Heckboie aber er ist sehr schmal. Egal – bei Heckankern oder Heckboien kann man die Boote meistens etwas auseinanderdrücken und sich hineindrängeln. Genau betrachtet sind Heckboien eigentlich besser als die in Deutschland und Dänemark verbreiteten Heckdalben. Auch hier funktioniert es. Einer der beiden Nachbarn nimmt unsere Leinen an und es stellt sich heraus, daß es unser früherer Vermieter ist, der seinen Ruhestand mit seiner Frau auf der Ostsee verbringt.

nettes Café in alter Holzvilla in Kalmar
nettes Café in alter Holzvilla in Kalmar

In Kalmar endet an diesem Abend die ARC Baltic und außerdem ist eine große Iron Man-Veranstaltung in Gang. Die ARC Baltic ist eine organisierte Rally um die Ostsee auf einer ähnlichen Route wie wir aber mit Sankt Petersburg und in nur 6 Wochen. Diva war eines der 24 teilnehmenden Boote. Sie und die anderen liegen zusammen im äußeren Teil des Yachthafens. Die Laufstrecke führt durch die Altstadt. Obwohl die Veranstaltung in den letzten Zügen liegt, ist noch alles voller Menschen. Wir müssen uns durchdrängeln und jubeln den letzten Teilnehmern zu, die mehr gehend als laufend vorbeikommen.

Schloß von Kalmar
Schloß von Kalmar
große Tafel aus Plastikessen
große Tafel aus Plastikessen
Thron
Thron
Kapelle im Schloß
Kapelle im Schloß

Nach einem Hafentag mit Einkäufen und Schloßbesichtigung und einer zweiten Nacht geht es am späten Nachmittag weiter. Es fühlt sich jetzt schon stark nach „nach Hause fahren“ an.

Sonnenuntergang auf dem Weg nach Süden aus dem Kalmarsund
Sonnenuntergang auf dem Weg nach Süden aus dem Kalmarsund

Zunächst motoren wir bei Windstille im Kalmarsund nach Süden. Gegen Mitternacht soll es Wind geben, aber eher schwach, so daß es nichts machen dürfte, daß es hoch am Wind ist. Der Wind kommt auch, pünktlich, als wir bei Utklippan – einer der letzten schwedischen Schäreninseln – abbiegen, um die Hanöbucht zu überqueren. Er baut sich aber schnell viel stärker auf als angesagt. Nach einer Weile sind es 20 Knoten wahrer Wind, im Laufe der Nacht sehe ich bis 27, statt der angesagten 9. Für komfortables Segeln hoch am Wind ist das viel zu viel. Wir krachen hart in die Wellen und haben so noch 60 Meilen vor uns. Es wird die zweite unangenehme Nachtfahrt auf dieser Reise und wir sind müde und erschöpft, als wir morgends um 9 in Skillinge auf der Westseite der Hanöbucht einen eigentlich nicht geplanten Zwischenstop einlegen. Emma hat zwar geschlafen, aber sehr unruhig. Dabei sind wir prima vorangekommen, immer zwischen 6 und 7 Knoten. Auch bei uns ist es so: das Boot kann mehr ab als die Mannschaft.

Am Nachmittag, als wir ausgeschlafen haben, kommt ein englisches Boot längseits. „Trenelly“ hat auch an der ARC Baltic teilgenommen. Sie waren mit dem Boot in Sankt Petersburg gewesen. Auf der Hinfahrt dorthin gab es seltenen Ostwind, also gegenan, und auf der Rückfahrt gab es den üblichen Westwind, also gegenan. Sie mußten viele Stunden vor dem Einklarierungshafen Kronstadt warten, auf einer Reede (Ankergebiet), wo es aber 30 Meter tief war und wo deshalb nur große Schiffe ankern können, weil die Einklarierungsbeamten mit den 24 Booten der ARC Baltic überlastet waren. Die Marina von Sankt Petersburg liegt in einem Fluß mit zwei Knoten Strom, der quer zum Liegeplatz setzt, und wegen dem es große Schwierigkeiten gab beim Anlegen mit Heckboien. Sie meinen, das mit dem Bus wäre eine gute Idee gewesen.
Beim überqueren der Hanöbucht hatten sie aber die bessere Idee. Sie haben die Nacht vor Anker hinter eine Schäre bei Utklippan verbracht und sind tagsüber bei erheblich angenehmeren Bedingungen über die Hanöbucht gekommen.
Ich erfahre von Helen und Robert auch viel über ihr Heimatgewässer, die schottische und irische See, und bekomme ein Magazin „Sail Scotland“ geschenkt. Da würde ich gern hin auf unserer nächsten langen Sommerreise, die es hoffentlich geben wird in ein paar Jahren.

wer rät, mit wem es zu einer knappen Begegnung kommt?
wer rät, mit wem es zu einer knappen Begegnung kommt?
mit Trans Fjell
mit Trans Fjell

Am nächsten Tag geht es tagsüber bei überwiegend leichtem Wind segelnd und motorsegelnd nach Klintholm auf der dänischen Insel Møn (die mit den Kreidefelsen).

Sonnenuntergang; Møn am Horizont
Sonnenuntergang; Møn am Horizont
wir nähern uns Klintholm
wir nähern uns Klintholm

Wir kommen spät Abends in totaler Finsternis an. Das mit den hellen Nächten ist sowas von vorbei. Auf dem Radar sehe ich vor dem Hafen ein kleines Angelboot auf unserem Kurs, das wir sonst wohl übersehen hätten. Dann gibt es noch ein anderes, kräftiges Ziel auf dem Radar, genau zwischen uns und der Hafeneinfahrt, das wir partout nicht sehen können. Als wir drauf zufahren verschwindet es. Eine Menge Mövengeschrei und viele Vögel um uns herum sagen mir, daß das Echo ein Mövenschwarm auf dem Wasser gewesen ist. Auch im Hafenbecken ist es verdammt dunkel. Unbeleuchtete Dalben stehen mitten drin herum. Ohne den Kartenplotter hätten wir kaum in das hinterste Becken gefunden, wo es einen freien Platz gibt.

Møns Klint
Møns Klint

Wir sind jetzt schon recht nah der Heimat, zwei Drittel der Strecke von Kalmar, gegen den vorherrschenden Westwind. Die nächsten beiden Tage bringen aber kräftigen Westwind. Der Stop Klintholm ist eine Wette darauf, daß sich diese Bedingungen nochmal ändern bevor uns die Zeit ausgeht. Gibt es kein Wetterfenster mehr, wäre Rügen ein besserer Stop gewesen, weil man von dort leichter mit der Bahn nach Hamburg gekommen wäre zu Emmas erstem Schultag nach den Sommerferien. Aber es paßt. In der dritten Nacht ist eine Pause im Westwind angesagt, lang genug, um bis Kiel zu kommen. In der Abenddämmerung machen wir das Boot klar und es geht auf zu unserem letzten Overnighter auf dieser Reise.

Sonnenuntergang über Falster auf dem Weg nach Kiel
Sonnenuntergang über Falster auf dem Weg nach Kiel

Das erste Stück ist angenehmes segeln im Dämmerlicht. Um 2 Uhr morgends runden wir motorsegelnd das Gedser Landrev (Warum ist die wichtige Tonne hier eigentlich nicht beleuchtet? Ich muß sie auf dem Radar suchen.) und ab hier ist es motoren bei Flaute. Birgit übernimmt und quert auch das Verkehrstrennungsgebiet vor Fehmarn allein. Ich kann ausschlafen und bin erst wieder dran, als wir die Fährstrecke Puttgarden-Rödby passiert haben.

Sonnenaufgang im Fehmarn Belt
Sonnenaufgang im Fehmarn Belt
die letzten Stunden auf See - alle Gastlandflaggen werden zusammengebunden
die letzten Stunden auf See – alle Gastlandflaggen werden zusammengebunden

Am frühen Nachmittag sind wir in Kiel Düsternbrook und machen provisorisch vor dem Gebäude des Hafenmeisters fest.

Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Åland, Schweden
Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Åland, Schweden

 

Der Hafenmeister, den ich seit 10 Jahren kenne, begrüßt mich mit seinem trockenen Humor: „Herr Dürr, sie sind ja immer noch da.“
„Wieder da.“ sage ich.

„Waren sie in all diesen Ländern?“ fragt er und zeigt auf die Reihe der Gastlandflaggen unter unserer Steuerbordsaling.
„Ja.“ sage ich.

Frühlingsinseln

Von Rödhamn aus überqueren wir das Åland Hav, das Stück Zugang zum Bottnischen Meerbusen, der nicht durch die Åland Inseln versperrt ist, und landen zunächst auf der Insel Blidö mitten im Stockholmer Schärengarten für einen letzten Abend mit unseren deutsch-schwedischen Freunden.

Stemmarsund zwischen Yxlan und Blidö
Stemmarsund zwischen Yxlan und Blidö
Anleger Blidö im Abendlicht
Anleger Blidö im Abendlicht
Unsere deutsch-schwedischen Freunde verlassen uns
Unsere deutsch-schwedischen Freunde verlassen uns

Die Schären liegen hier dicht zusammen und sind immer stärker bevölkert je mehr wir uns der Großstadt nähern. Man kann hier nicht einfach den Autopilot anstellen, eine Zeitung lesen und alle viertel Stunde nach dem Rechten sehen. Es ist fast wie Autobahnfahren und nach 30 Meilen hat man genug für den Tag.

typisches Bild der Stockholmer Schären, das so endlos weitergeht in alle Richtungen
typisches Bild der Stockholmer Schären, das so endlos weitergeht in alle Richtungen

Dafür gibt es aber laufend was zu sehen. Es ist eine Mischung aus Vorstadt und Naherholungsgebiet. Das Wasser zwischen den Inseln bietet zwar eine besondere Atmospäre, ist aber ansonsten ein Hindernis, das überwunden werden muß –

schnelle Fähre - ein- und aussteigen über den Bug während die Fähre gegen den Anleger drückt
schnelle Fähre – ein- und aussteigen über den Bug während die Fähre gegen den Anleger drückt

mit verschiedensten öffentlichen Fähren und mit unzählingen kleineren Motorbooten, meist mit Außenbordmotor. Auf den Bootsausstellungen habe ich mich immer gefragt, wer hundert Variationen von 4, 5 und 6 Meter langen Motorbooten mit Außenbordmotor braucht – jetzt weiß ich es: es sind die Zweitwagen der Bewohner aller dieser Inseln. Viele von Ihnen können scheinbar dem Bootfahren überhaupt nichts abgewinnen. Es ist halt nur der einzige Weg, zu ihrem Wochenendhaus zu kommen.

Bilderbuch-Schäre
Bilderbuch-Schäre
und noch eine
und noch eine

In einem Prospekt über den Stockholmer Schärengarten lese ich den Ratschlag, ausländische Freunde oder Geschäftspartner unbedingt zu einer Rundfahrt durch den Schärengarten einzuladen. „They have never seen anything like it.“ Stimmt – ich auch nicht. Letzten Sommer in den westschwedischen Schären bei Göteborg schon ein bißchen, aber nicht so wie hier. Dort war es noch Wassersport. Hier ist es Vorstadtleben.

wir nähern uns Vaxholm, einer Festung, die in vergangenen Zeiten den einzigen tiefen Zugang nach Stockholm gesichert hat
wir nähern uns Vaxholm, einer Festung, die in vergangenen Zeiten den einzigen tiefen Zugang nach Stockholm gesichert hat
die alte Berlin, den Rettungskreuzer aus Laboe, bekannt auch aus dem Fernsehen, hat es nach Vaxholm verschlagen
die alte Berlin, den Rettungskreuzer aus Laboe, bekannt auch aus dem Fernsehen, hat es nach Vaxholm verschlagen
typische alte Schären-Fähre, die es so noch zig fach gibt
typische alte Schären-Fähre, die es so noch zig fach gibt
mit denen muß man sich das Fahrwasser teilen
mit denen muß man sich das Fahrwasser teilen

Wenn man ein paar Stunden drin herumgefahren ist, bekommt man den Eindruck, ganz Schweden bestünde nur aus Inseln aller Größen und jede Art von Transport müßte über das Wasser erfolgen.

Schären-Lieferwagen
Schären-Lieferwagen

Es gibt pontonartige Lieferboote, die man gegen die Schäre fahren kann und die mit einem hydraulischen Arm Lasten drauf absetzen können. Bauunternehmen fahren damit zu ihren Inselbaustellen.

Supermarkt-Lieferservice
Supermarkt-Lieferservice

Es gibt Supermarkt Lieferservice als rasendes RIB mit Doppel-Außenbordmotor. Restaurants haben Anleger für ihre Kunden. Abendveranstaltungen mit Livemusik finden auf Schiffen statt, während sie durch das Schärenmeer tuckern. Einmal kam uns ein größeres Motorboot entgegen, auf dessen oberem Deck ein 20-köpfiger gemischter Chor probte. Auf unserer Milchverpackung ist nicht etwa eine Kuh, sondern eine Bäuerin vergangener Tage, die Milchkannen in einem Ruderboot von Schäre zu Schäre rudert. Und – als Neuling braucht man eine Weile, bis man es so richtig verstanden hat – die finden das hier alle ganz normal.

Fjäderholmarna Zentrum
Fjäderholmarna Zentrum

Wie man es nicht anders von uns kennt, haben wir uns den örtlichen Gepflogenheiten angepaßt und Stockholm per Dinghy erkundet. Das kam, weil ich keine Lust hatte auf 650 Kronen Liegegeld (~ 60 Euro) pro Nacht in Stockholms Vasahamn, dem traditionellen Liegeplatz für Besucher-Yachten. Das wäre der höchste Preis gewesen, den wir jemals irgendwo bezahlt hätten, ein Dockhafen in London eingeschlossen, und das auch noch für vier Nächte.
Statt dessen haben wir einen Tip von Niels ausprobiert: Fjäderholmarna (Frühlingsinseln). Diese liegen etwa drei Seemeilen vom Zentrum entfernt. Auf der größten davon, Stora Fjäderholm, etwa 400m Durchmesser, betreibt die Kungliga Djurgårdens Förvaltning, also der schwedische Staat, einige Restaurants, Museen, Kunsthandwerk-Werkstätten und einen Brauerei-Pub. Letzterer hat Schilder an der Wand wie
„Beer – because you don’t make friends with salad“
und
„Beer is not the answer. Beer is the question. ‚Yes‘ is the answer.“

Abendruhe auf Fjäderholm
Abendruhe auf Fjäderholm

Außerdem gibt es eine Bootstankstelle und Liegeplätze für etwa 15 Boote, von denen aber nur wenige belegt waren. Alle halbe Stunde bis 23:30h kommt eine Fähre und bringt und holt die Besucher bzw. Gäste. Das ist natürlich alles recht touristisch, aber für uns hat es gut gepaßt. Wir sind Abends über die Insel gelaufen, haben ein Bier getrunken, haben die Kunsthandwerk-Läden besucht (unser Luxus-Budget ist inzwischen massiv überzogen), haben Diesel gebunkert und haben beim Essen im Cockpit dem Treiben um uns herum zugesehen.

diese alte Schären-Fähre hat sogar noch Dampfantrieb - fotografiert aus dem Cockpit am Liegeplatz in Fjäderholm
diese alte Schären-Fähre hat sogar noch Dampfantrieb – fotografiert aus dem Cockpit am Liegeplatz in Fjäderholm

Das Liegegeld wird an der Tankstelle bezahlt und Birgit hat dort auf die 300 Kronen noch einigen Rabatt erhalten, so daß wir über alles bei vielleicht 200 Kronen pro Nacht gelandet sind.

Lagerraum auf Fjäderholm
Lagerraum auf Fjäderholm

Nach den Erkundungen des Tages haben wir uns wieder auf unsere Insel zurückgezogen. Nachdem um halb zwölf die letzte Fähre abgefahren ist, kehrt auf der Insel Ruhe ein. Als hätte man ihn für uns gegraben, gibt es auch einen süßen Kanal für drei Viertel des Weges zwischen der Innenstadt und unserer Insel, durch den wir zweimal täglich mit dem Dinghy getuckert sind.

Stadtrundfahrt diesmal nicht mit Hop-on Hop-off sondern mit dem Dinghy
Stadtrundfahrt diesmal nicht mit Hop-on Hop-off sondern mit dem Dinghy
Stadtrundfahrt: Tivoli
Stadtrundfahrt: Tivoli

Wegen des vielen Wassers überall eignet sich Stockholm auch grundsätzlich sehr gut für eine Besichtigung per Beiboot.

Emma in vergangenen Zeiten
Emma in vergangenen Zeiten
Begegnung mit Touristenbus im Dinghy
Begegnung mit Touristenbus im Dinghy

Für Besuche von Museen, der Gamla Stan oder Bootszubehörläden muß man aber natürlich doch öfter an Land und dann mangelt es leider etwas an Möglichkeiten, das Dinghy zu parken. Da hilft nur frech sein und das sind wir inzwischen geworden, wenigstens in dieser Beziehung.

Dinghy-Parkplatz 1 (Vasahamn)
Dinghy-Parkplatz 1 (Vasahamn)
Stadtrundfahrt: Nordisk Museum und Vasamuseum
Stadtrundfahrt: Nordisk Museum und Vasamuseum
Dinghy-Parkplatz 2 (Palast und Gamla Stan)
Dinghy-Parkplatz 2 (Palast und Gamla Stan)
Dinghy-Parkplatz 3 (Restaurant)
Dinghy-Parkplatz 3 (Restaurant)
zum Vergleich: so sieht ein ordentliches Dinghy-Dock aus (Dartmouth, England)
zum Vergleich: so sieht ein ordentliches Dinghy-Dock aus (Dartmouth, England)

Von den Fjäderholmarna geht es weiter durch den Schärengarten und, nach einem Stop in Dalarö, mit einem Overnighter nach Visby auf der mitten in der Ostsee gelegenen Insel Gotland. Davon mehr beim nächsten Mal.

sehr enge Durchfahrt Richtung Süden mit 2 Knoten Strom
sehr enge Durchfahrt Richtung Süden mit 2 Knoten Strom
Frokost in Dalarö
Frokost in Dalarö
abendlicher Aufbruch Richtung Visby von Dalarö
abendlicher Aufbruch Richtung Visby von Dalarö
Sonnenaufgang auf See Richtung Visby
Sonnenaufgang auf See Richtung Visby

 

Ist es ein Land oder ist es keins?

Zwischen dem südlichen Finnland und der Küste von Schweden nördlich von Stockholm liegt ein Schärenmeer, das den Bottnischen Meerbusen (den oberen Teil der Ostsee) fast vom Rest abtrennt. Der Hauptteil dieser Schären sind die Åland Inseln. Sie haben:
– eine eigene Regierung,
– eine eigene Flagge,
– eine eigene Top-Level-Domain (.ax),
sind aber doch kein eigenes Land sondern gehören zu Finnland. Finnisch wird dort aber auch nicht gesprochen sondern schwedisch (Haupt-Finnland ist zweispraching finnisch und schwedisch und Åland ist einsprachig schwedisch).
Die Frage, ob es ein Land ist, ist für uns von besonderer Bedeutung, weil wir von Oma finanzielle Mittel zur Anschaffung von Tinneff zur Verfügung gestellt bekommen haben (sog. „Luxusgeld“) und wir Emmas Anteil auf die besuchten Länder aufgeteilt haben. Sie argumentiert nun, Åland wäre ein Land und ihr stünde weiteres Luxusgeld zu. Das Argument, daß, selbst wenn wir bei der Land-Frage einen Fehler gemacht hätten, wir diesen jetzt, im vorletzten Land, nicht mehr heilen können, läßt sie nicht gelten. Dann muß eben zusätzliches Luxusgeld bereitgestellt werden, egal woher.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern finden wir auch keine klaren Hinweise darauf, wann wir es betreten. Irgenwo im Schärengewirr verläuft eine Grenze, aber sie ist nicht in Seekarten eingetragen. Wir erkundigen uns daher bei anderen Seglern, wann wir die finnische Gastlandflagge herunternehmen und die Åländische setzen sollen.

Yoga in der Abendsonne vor Anker
Yoga in der Abendsonne vor Anker

Aber zunächst mal kommt in Hanko (liegt zweifelsfrei in Finnland) unser Freund Peter mit Sohn Julius an Bord. Hanko erreichen wir von Espoo nach zwei Tagen motoren und motorsegeln durch das Schärenmeer. Auf schwedisch heißt die Inselwelt „Skärgård“ (Schärengarten). „Meer“ gefällt mir aber besser.
Inseln verschiedenster Art kamen in Emmas Leben schon oft vor. Als sie 3 Jahre alt war und wir vor Ærøskøbing ankerten, kannte sie das Wort „Insel“ noch nicht. Sie hat auf meine Frage, wo wir mit dem Dinghy hinfahren sollen, auf eine kleine Insel (Dejrø) gezeigt und gesagt: „zu der kleinen Welt da.“
Auf unserer langen Reise 2013 und 2014 haben wir 6 Monate auf den Kanarischen Inseln und den Azoren-Inseln verbracht. Dann kam der lange Schlag zurück nach England. Nach 8 1/2 Tagen sind wir angekommen auf den Isles of Scilly vor der Küste Englands ganz im Süd-Westen – wieder Inseln. Emma hatte zu diesem Zeitpunkt wohl die Erinnerung an „Festland“ verloren und lebte in einer Welt aus Inseln. Ein paar Tage später ging es nach Falmouth. Als es in Sicht kam, hat Emma gefragt: „wie heißt diese Insel?“. Ich habe einfach nur „England“ geantwortet, den schließlich ist es ja eine Insel (die Bewohner der Isle of Wight an Englands Südküste nennen die England-Insel schließlich auch „North Island“). Der nächste Schlag ging nach Plymouth und als das in Sicht kam, habe ich auf Emmas Frage, wie diese Insel heißt, wieder „England“ geantwortet. Da kam Protest: „Aber auf England waren wir doch gestern schon!“
Hier im Inselmeer gibt es erstklassiges Anschauungsmaterial zum Thema Größe von Inseln.
Groß: man kann ein Auto mieten und drauf rumfahren; es gibt Fähren und manchmal einen Flughafen; z.B. Saaremaa
Mittel: man kann einen ganzen Tag drauf herumwandern und kommt trotzdem nicht ganz rum; z.B. Kökar
Klein: man kann prima drauf spielen und in einer halben Stunde herumlaufen; z.B. Rödhamn
Winzig: mann kann gerade noch darauf landen und ein paar Schritte tun; z.B. Julieö 1 und 2
Super-winzig: sie kuckt nur ein paar Zentimeter aus dem Wasser und ist immer naß, weil sie ständig von Wellen überspült wird; man kann nicht drauf landen, weil man ausrutscht und hinfällt.

auf den Schären muß man sich dem Fels anpassen (Hanko Hafencafé)
auf den Schären muß man sich dem Fels anpassen (Hanko Hafencafé)

Hanko wird als das Boots-Mekka von Finnland angepriesen, ist aber nicht besonders groß und ziemlich touristisch. Im Hafen ist ein großer Markt in Gang. Es ist voll. Die Hafenmeisterin ruft andere Kunden an, die einen Platz reserviert haben. Sie brauchen ihn nicht und er gehört uns. Beim Herumsuchen finde ich das Boot Boreas mit Marlies und Achim, die wir schon in Kuressaare getroffen hatten. Wir verabreden uns auf ein Bier. Hafenmeisterei, Hafencafe und Waschräume bestehen aus einem Container-Arrangement. Oben drauf steht die Sauna, auch ein Container. Die meisten Häfen in dieser Gegend haben eine Sauna. Entweder ist es eine kostenlose öffentliche, in der Mann und Frau getrennt sind und wo Badekleidung getragen wird, oder man kann die einzige Sauna am Ort für sich und seine Familie oder Freunde buchen und bezahlen. In Hanko ist es ersteres.

schlechtes Wetter
schlechtes Wetter
und gutes Wetter
und gutes Wetter

Für den Weg nach Mariehamn, der Hauptstadt der Åland Inseln, suchen wir uns aus den Tips von Matti aus: Hiittinen, Utö, Kokär und Rödhamn. Die Hauptwindrichtung ist Süd-West, also meistens gegenan. Da wir ja den Linien folgen sollen und überall Hindernisse im Weg sind, geht Kreuzen schlecht und wir müssen viel motoren. Utö liegt weit außen in den Schären (20 Meilen südlich von dort ist die Estonia gesunken) und es gibt nicht mehr viel Schutz gegen die See. Auf dem Weg dahin frischt der Gegenwind auf 20 und mehr Knoten auf. Das Boot stampft sich in der See fest und wir müssen unfreiwillig einen weiteren Tip von Matti mitnehmen: Jurmo. Das allerdings nur, um im Lee von Jurmo für ein paar Stunden Schutz zu suchen. Später am Abend, in den letzten Stunden des Tageslichts, läßt der Wind etwas nach und wir schaffen das letzte Stück bis Utö, indem wir die Linien verlassen und uns zwischen allen verfügbaren Schären hindurchwinden, um deren Lee auszunutzen. In der Bucht von Utö liegen wir dann wie in Abrahams Schoß.

Utö Inselidyll
Utö Inselidyll
Wasserschlange auf Utö
Wasserschlange auf Utö

Während am nächsten Tag Familie und Besuch die Insel erkundet, ersetze ich einen gebrochenen Scherstift am Bugstrahlruder, der am Vorabend ohne weiteren Grund kaputt gegangen ist. So steht es ja in den meisten Reiseberichten: um die Welt segeln bedeutet, sein Boot an lauter exotischen Plätzen zu reparieren. Ich bin aber stolz, weil ich einen Ersatz-Scherstift dabei habe und auch den speziellen extra langen Inbusschlüssel.

Ersatz eines zerbrochenen Duschkopfs der Dusche auf der Badeplattform in Mariehamn
Ersatz eines zerbrochenen Duschkopfs der Dusche auf der Badeplattform in Mariehamn
Ankern in der Bucht vor Sandvig
Ankern in der Bucht vor Sandvig

Später am Tag geht es weiter nach Kokär, wo wir zwei Nächte ankern in einer Bucht vor dem süßen Hafen Sandvig, der auch den Umschlag des Törnführers für die Åland Inseln ziert, den wir von Marlies und Achim geliehen bekommen haben.

Ergebnis unseres ersten Ankerversuchs in Sandvig
Ergebnis unseres ersten Ankerversuchs in Sandvig
das alte Schiff ist das Hafenschild von Sandvig
das alte Schiff ist das Hafenschild von Sandvig
hier tobt das Leben in Sandvig
hier tobt das Leben in Sandvig
Solche "Sammelbriefkastenanlagen" gibt es häufig; diese ist besonders aufwendig
Solche „Sammelbriefkastenanlagen“ gibt es häufig; diese ist besonders aufwendig

Peter nutzt eine Schwäche der Demokratie: wenn neun Leute keine große Meinung zu etwas haben, der zehnte aber sehr dafür ist, dann kann dieser der Reihe nach auf die anderen einwirken und so schließlich eine Entscheidung in seinem Sinne herbeiführen, obwohl es nicht die Präferenz der Mehrheit ist. In diesem Fall ging es um einen Wanderpfad durch die Schärenlandschaft von Kokär. Es waren nur ein paar Kilometer, aber die mußten mehr kletternd als wandernd zurückgelegt werden und es dauerte den ganzen Tag. Sehr anstrengend, aber auch sehr schön.

"Wanderweg" über Kokär
„Wanderweg“ über Kokär
Haus und Vorgarten paßt genau auf die Schäre
Haus und Vorgarten paßt genau auf die Schäre
Rödhamn Inselmitte
Rödhamn Inselmitte

Der nächste Stop, Rödhamn, war ein Hit. Ein durch Schären sehr gut geschützter kleiner Hafen mit nettem Café, in dem Kanelbullar (eine Art Franzbrötchen) und Kardamon Kaka (Kuchen) sowie morgends Brötchen selbst gebacken werden, und zwar ohne Strom und ohne Wasser aus der Leitung. Das Wasser muß aus einem Brunnen mit der Hand gepumpt und etwa hundert Meter geschleppt werden. Die Brötchen werden morgends auf das Vorschiff geworfen und auf der Tüte steht der Wetterbericht für den Tag.

Wetterbericht auf der Brötchentüte (3-9 m/s heißt 3 bis 5 Beaufort)
Wetterbericht auf der Brötchentüte (3-9 m/s heißt 3 bis 5 Beaufort)
Hafen Rödhamn
Hafen Rödhamn
frühere Sendestation auf Rödhamn
frühere Sendestation auf Rödhamn

Man kann die Felseninsel in einer halben Stunde umwandern bzw. umklettern (einen Weg gibt es nicht, da alles Fels ist) und außer dem Café gibt es vielleicht 10 weitere Häuser – eines davon ein Museum der ehemaligen Funkpeil-Sendestation, eines ein Bettenhaus z.B. für Sommercamps von Kindern und eines – richtig geraten – eine Sauna.

ohne Worte
ohne Worte
Baden in Rödhamn
Baden in Rödhamn

Zu unserer großen Freude treffen wir eine deutsche Segler-Familie, die eigentlich gar nicht deutsch ist, denn sie leben ständig in Stockholm und die Kinder Mathilda und Jakob sind zweisprachig. So richtig zweisprachig: wenn sie vorher in der schwedischen Schule waren, sprechen sie schwedisch miteinander; im Urlaub mit den Eltern sprechen sie deutsch miteinander.
Mathilda ist in Emmas Alter und weil richtiges Sommerwetter ist, gehen sie sofort zusammen baden.

Fäkalientanks abpumpen - auf Rödhamn mit Muskelkraft
Fäkalientanks abpumpen – auf Rödhamn mit Muskelkraft

Wir können nur eine Nacht bleiben, verabreden uns aber mit Franka, Niels, Mathilda und Jakob in Mariehamn, wohin es nur ein paar Meilen sind.

Peter und Julius verlassen uns
Peter und Julius verlassen uns

In Mariehamn liegen wir 4 Tage. Peter und Julius nehmen am ersten Morgen die Fähre nach Stockholm. Birgit und Emma kaufen einen Haufen Zeug in der kleinstädtischen Einkaufsstraße. Ich besuche das Maritim-Museum und gebe das erste von meinem Anteil des Luxusgeldes aus für einen speziellen Schnappschäkel für Heckboien.

endlich korrekte Verhältnisse: in Mariehamn ist der Bootsausrüster (Kalmers) genauso groß wie Elektronikmarkt und Autozubehörhandel
endlich korrekte Verhältnisse: in Mariehamn ist der Bootsausrüster (Kalmers) genauso groß wie Elektronikmarkt und Autozubehörhandel
Pommern - der hintere Mast fehlt wegen der Restauration
Pommern – der hintere Mast fehlt wegen der Restauration

Hier liegt auch das Fracht-Segelschiff Pommern. Am Namen, der mit P anfängt, erkennen eingeweihte, daß es mal der Hamburger Reederei Laeisz gehört hat, so wie auch die Peking, die gerade wieder in Hamburg angekommen ist nach vielen Jahrzehnten im South Street Seaport Museum in New York, wo ich öfter mein Mittagessen davor gegessen habe, als ich ein Jahr an der Wall Street gearbeitet habe.
Die Pommern ist im Originalzustand erhalten, nicht in ein Segelschulschiff umgebaut worden wie z.B. die Krusenstern (früher Padua). Sie wird auch nicht als Veranstaltungszentrum oder Jugendherberge genutzt, wie die Passat in Travemünde, und ist nicht völlig heruntergekommen, wie die Peking jetzt vor der millionenteuren Restaurierung, und ist damit wohl einmalig. Daß die Pommern in Mariehamn liegt, ist kein Zufall, denn gegen Ende der Segelschiffzeit hat der hier ansässige Reeder Gustav Erikson viele Frachtsegler für wenig Geld übernommen und bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs kostendeckend betrieben mit dem Transport von Weizen aus Australien nach Europa. In den zehn Jahren vor Kriegsausbruch gehörten praktisch alle verbliebenen Frachtsegler der Erikson-Reederei und hatten Mariehamn als Heimathafen.
Die Pommern wird allerdings gerade renoviert und ich konnte sie deshalb nicht  besichtigen.

Nach Mariehman geht es für zwei weitere Nächte nach Rödhamn und dann von dort, zusammen mit unseren deutsch-schwedischen Freunden, weiter nach Schweden in die Stockholmer Schären.

Blaubeeren gepflückt auf Rödhamn
Blaubeeren gepflückt auf Rödhamn

60 Grad und 6 Minuten, die Breite von Mariehamn, ist deshalb das nördlichste, was wir auf dieser Reise erreicht haben. Ab jetzt sind wir auf der Heimreise und ich habe deshalb eine leichte Depression. Irgendwann werden wir wohl nochmal herkommen müssen, um die Mitternachtssonne und die Höga Kusten zu sehen. Aber Pläne haben ist ja auch nicht schlecht.

Nette Überraschung

Nach der Rückkehr aus Sankt Petersburg verhandeln wir mit dem Hafenmeister um einen besseren Liegeplatz, verlegen das Boot und starten eine große Wäsche – mit der Waschmaschine im Hafen und mit einem uns freundlicherweise dauer-geliehenen Washboy.

Waschtag
Waschtag
Washboy
Washboy
Abend in Piritas
Abend in Piritas
Motto des Hafencafes "Las Piritas": All You Need is Vitamin Sea
Motto des Hafencafes „Las Piritas“: All You Need is Vitamin Sea

Später scheint die Sonne und wir sitzen unter Deck als wir draußen Bootsgeräusche und Rufe hören.

Amber mit Matti und Riitta überrascht uns
Amber mit Matti und Riitta überrascht uns

Es sind Matti und Riitta, die Finnen aus Klaipeda und Liepaja, mit Ihrem Boot Amber. Sie waren inzwischen auf Gotland (Schweden) und haben von Marinetraffic den Tip bekommen, daß wir hier sein würden. Sie waren schon oft hier und kennen einen noch besseren und außerdem billigeren Liegeplatz im Kalev Jahtklubi auf der anderen Seite des Hafens. Wir fahren bei Ihnen an Bord hin, vorbei am Olympiasymbol, und holen später unser Boot nach.

Olympiasymbol der Spiele von 1980
Olympiasymbol der Spiele von 1980
Olympisches Feuer, erloschen
Olympisches Feuer, erloschen

Das Wetter is prima und wir verbringen ein paar nette Tage in Tallinn. Matti und Riita zeigen uns das älteste Cafe der Stadt und das Rathaus, das keine Kirche ist

historisches Café in Tallinn
historisches Café in Tallinn
keine Kirche sondern Rathaus von Tallinn
keine Kirche sondern Rathaus von Tallinn
phantasievoller Regenwasserspeier am Rathaus von Tallinn
phantasievoller Regenwasserspeier am Rathaus von Tallinn
Fotomodell-Möve; ganz im Hintergrund Hafen von Piritas
Fotomodell-Möve; ganz im Hintergrund Hafen von Piritas

Es geht zur Aussichtsplattform, wo diese Möve den ganzen Tag als Fotomodell herumsteht und sich fütten läßt, und in eine orthodoxe Kirche mit Zwiebeltürmen.

Zwiebelturm-Kirche
Zwiebelturm-Kirche

Der nächste Tag bedeutet Aufregung für Emma, denn sie hält per Skype ein Referat vor ihrer Klasse und berichtet von der bisherigen Reise.

Skype-Vortrag vor Emmas Klasse
Skype-Vortrag vor Emmas Klasse

Im Klassenraum gibt es ein Smartboard, so daß alle gut sehen können. Zu Beginn rufen alle Klassenkameraden „Wir vermissen Dich Emma“. Über eine Stunde lang erzählt sie, zeigt mehr als 100 Fotos und beantwortet Fragen. Vielen Dank an die Klasse für soviel Geduld.

neues Marinemuseum in Tallinn in historischer Spannbetonhalle
neues Marinemuseum in Tallinn in historischer Spannbetonhalle

Am Nachmittag besichtige ich noch das neue Marinemuseum in einem alten Hangar für Wasserflugzeuge. Am nächsten Vormittag geht es für die beiden Finnen gen Heimat denn ihr Urlaub neigt sich dem Ende zu.

Tschüß Tallinn
Tschüß Tallinn

Wir kommen mit. Es liegt ja in unserer Richtung.

bei knackigem Wind über den Golf von Finland
bei knackigem Wind über den Golf von Finland

Bei knackigem Wind brettern wir mit 7 1/2 und 8 Knoten über den Golf von Finnland. Emma hat diesen Film gemacht:

wir folgen Amber in das Schärenmeer
wir folgen Amber in das Schärenmeer

Auf der anderen Seite tauchen wir ein ins Saaristomeri („Inselmeer“ auf finnisch). Der Seegang läßt nach, der Wind geht zum Abend zurück und es wird friedlich. Wir folgen Amber zu einer Schäre namens Pentala, wo einer ihrer mehreren Yachtclubs liegt. Alle bewohnbaren Schären in diesem „Meer“ gehören Privatleuten, einer Stadt oder Gemeinde oder Clubs. Städte und Gemeinden bieten ihre Schären für jeden an und stellen manchmal auch Infrastruktur bereit wie Plumpsklos und Müllsammelstellen. Man kann überall nur per eigenem Boot hinkommen oder manchmal per öffentlicher Fähre. Auch der Müll wird per Boot eingesammelt. In dieser Umgebung würde ich ernsthaft über eine Karriere als Müllwagenfahrer nachdenken. Pentala enthält einen kleinen Süßwassersee und ist mit einem Wald bedeckt, der aus Ronja Räubertochter stammen könnte. Ein anstregender Kraxelpfad führt über die Insel, der aber praktisch nicht benutzt ist, da alle Bewohner, mehrere Privatleute und der Club von Matti und Riitta, mit dem Boot kommen. Eine Fähre gibt es hier nicht.

Liegeplatz von Pentala
Liegeplatz von Pentala

Wir liegen an einem Schwimmsteg mit Heckbojen. Der Club hat auf der Insel mehrere Hütten, die die Mitglieder reservieren können für Übernachtungen, mehrere Grillplätze und, ganz wichtig, eine Holzofensauna direkt am Wasser. Zum Abendessen gibt es in einer Art flachem Wok über einer Gasflamme gebackene Pfannkuchen – eine finnische Tradition, die unsere beiden Gastgeber mit Zwiebeln, Pilzen, Käse usw. weiterentwickelt haben. Danach geht es in die Sauna – nach finnischer Tradition mit Bier.

Wir wollen zwei Nächte bleiben, haben aber die Aufgabe zu lösen, Birgit zum Flughafen zu bekommen, die nach Hamburg fliegen muß. Ein paar Seemeilen entfernt gibt es einen kleinen Hafen am Festland mit einer Busstation. Dahin geht es mit dem Dinghy (unser Beiboot). Es regnet und wegen frischem Wind wird die Dinghyfahrt mal wieder zu einem nassen Rodeoritt. Dann steigt Birgit in einen Bus und ist weg. Die nächsten drei Tage sind Emma und ich allein.

Blaubeeren-Pflückgerät
Blaubeeren-Pflückgerät

Mit Matti und Riitta wandern wir über die Insel und pflücken die spärlichen Blaubeeren dieses Sommers mit einem Blaubeeren-Pflückgerät, das Ähnlichkeit hat mit dem Schöpfgefäß für Optis.

verwunschener Wald auf Pentala
verwunschener Wald auf Pentala
See im inneren von Pentala
See im inneren von Pentala

Für die beiden folgenden Tage wollen unsere Gastgeber zu einer anderen Schäre namens Porkala, wo ein anderer ihrer Clubs liegt. Wir sind eingeladen zu folgen und tun das gerne. An fremden Orten gibt es nichts besseres, als sich die schönsten Plätze von Einheimischen zeigen zu lassen.

Traumliegeplatz in guter Gesellschaft
Traumliegeplatz in guter Gesellschaft

Wegen der Windrichtung liegen wir an Porkala nicht vor dem Club, sondern an der anderen Seite an einem hohen Felsen mit perfektem Windschutz. Das Ufer ist tief genug, so daß man vom Bug direkt auf den Fels steigen kann. Unsere Vorleinen sind an einem Schärennagel befestigt, den ein Vorgänger wohl nicht mehr herausbekommen hat, und an einem Baum. Achtern hält uns unser Heckanker. Das ist das typische Schärenliegen und es gibt wohl keine schönere Art zu liegen. Wenn der Wind allerdings quer auf das Boot drückt, wird die Leine des Heckankers in einem ungünstigen Winkel belastet. Rutscht der Anker dann ein Stück, haut der Steven auf den Fels. Sowas passiert meistens mitten in der Nacht. Es ist deshalb eine gute Idee, zur Nacht die Vorleinen ein Stück loszugeben, damit das Boot ein gutes Stück vom Fels weg ist. Falls man wegen starkem Wind mitten in der Nacht weg muß, hilft es auch sehr, die Vorleinen auf Slip zu legen (zum Land und wieder zum Boot zurück, so daß man zum Lösen das Boot nicht verlassen muß). Die beiden Nächte auf Porkkala war das aber nicht nötig.

Aussichtsturm von Porkkala
Aussichtsturm von Porkkala
Porkkala vom Aussichtsturm
Porkkala vom Aussichtsturm

Wir haben die Schäre erkundet und eine unbenannte Insel in der Nähe mit dem Dinghy erobert und in Besitz genommen.

Emma auf ihren Ländereien
Emma auf ihren Ländereien
Beschriftung von Julieö 2 mit einem Filzstift
Beschriftung von Julieö 2 mit einem Filzstift

Sie heißt jetzt „Julieö 2“ (Position 59°57,99’N  024°27,576’E). Julieö 1 liegt bei Kungsö an der Westküste Schwedens und wurde im letzten Sommer erobert. Diese Tradition haben wir von Sönke Roever abgekuckt. Deren „Hippopotamusö“ liegt in Richtung Turku. Später wird mir allerdings klar, daß wir hier ja in Finnland sind und wir unsere Neuerwerbung deshalb korrekterweise „Juliesaari“ hätten nennen sollen (ein nachgestelltes „ö“ steht für Insel auf Schwedisch und Dänisch, „saari“ heißt dasselbe auf Finnisch).
Die Landung auf Julieö 2 gelingt erst beim zweiten Anlauf und endet mit einem nassen, grün-schmierigen Kind. Eroberungen waren halt zu allen Zeiten mit großem Risiko verbunden.

Saaristomeri
Saaristomeri

In dieser Bilderbuchwelt kann man als Neuling eigentlich ununterbrochen in alle vier Richtungen gleichzeitig fotografieren. Hier nur eine kleine Auswahl.

Porkkala Inselrundfahrt
Porkkala Inselrundfahrt
Sommernacht an Porkkala
Sommernacht an Porkkala

Beide Abende, die wir dort sind, grillen wir auf dem Fels. Dann ist Mattis und Riittas Urlaub zu Ende und es geht in Ihren Heimathafen Nokkala nahe Espoo bei Helsinki. Wieder sind wir eingeladen, mitzukommen.

an einer Muringboie vor Nokkala
an einer Muringboie vor Nokkala

Vor dem Yachthafen gibt es eine unbenutzte Muringboie, die wir haben dürfen. Das Boot des Besitzers steht gerade an Land. Und auch hier ist es sehr idyllisch.

Durch den Tip mit dem besseren Liegeplatz in Tallinn haben wir einiges Liegegeld gespart und danach hatten wir für zusammen 8 Nächte prima kostenlose Liegeplätze und haben in Nokkala auch noch Wasser bekommen. Wir sind Matti und Riitta zu großem Dank verpflichtet! Dazu bekamen wir noch sehr nette Gesellschaft, Pfannkuchen, Holzofen-Sauna, viele Tips für schöne Plätze in den Schären in Richtung der Åland Inseln und schließlich bekomme ich auch noch ihr Auto geliehen, um damit Birgit vom Flughafen abzuholen. Ich hoffe, wir können die beiden mal in Deutschland begrüßen, per Boot oder als Flugzeug-Urlauber.

Warten auf Mami
Warten auf Mami
Emma nach dem Genuß des ersten von 11 importierten Hanseaten
Emma nach dem Genuß des ersten von 11 importierten Hanseaten

An den beiden folgenden Tagen fahren wir, wieder zu dritt, mit dem Bus nach Helsinki. Eine schöne Stadt. Und sehr teuer. Knapp 50 Euro für 2 Cheeseburger, 1 Portion Pommes, 1 Bier und 1 Saftschorle. Allein das Bier kostet fast 8 Euro. Ich versuche, beim Essen nicht dran zu denken aber es gelingt mir nicht ganz.

Diese schöne Swan "Eira", benannt nach einem Nobel-Stadtteil von Helsinki, haben wir schon mal in Kiel getroffen
Diese schöne Swan „Eira“, benannt nach einem Nobel-Stadtteil von Helsinki, haben wir schon mal in Kiel getroffen
Finnisches Parlament
Finnisches Parlament

Wir machen eine Rundfahrt mit dem Boot, eine weitere mit dem Bus und verbringen noch ein paar Stunden auf der großen Festungsanlage Suomenlinna. Die Stadt liegt in einem Schärenmeer und überall sind Bootsliegeplätze. So würde ich eine Stadt entwerfen!

abfotografiert aus dem Museum: Suomenlinna im Sommer
abfotografiert aus dem Museum: Suomenlinna im Sommer
und im Winter
und im Winter

Nach einem weiteren netten Abend bei Matti und Riitta an Bord heißt es schließlich Abschied nehmen. Am nächsten Morgen kaufen wir einen halben Lidl-Markt auf (ab jetzt werden Lebensmittel teuer) und füllen unseren Wassertank am Steg. Dann geht es weiter nach Hanko, dem finnischen Boots-Mekka, wo wir unseren Freund Peter mit Sohn Julius in Empfang nehmen wollen.

Richtung Hanko
Richtung Hanko

Санкт-Петербург

So schreibt man Sankt Petersburg im russischen Alphabet. Da uns die Zeit fehlte, mit dem Boot hinzufahren, haben wir den Bus von Tallinn aus genommen.

Busbahnhof
Busbahnhof

An einem windigen und naßkalten Morgen haben wir das Boot abgeschlossen und sind mit Sack und Pack durch das Olympiazentrum gelaufen. Um drei Tage ohne Schulunterricht vor der Schulbehörde zu rechtfertigen, wird unser Ausflug als Klassenfahrt deklariert. Vom Tallinna Bussijaam ging ein Ecolines-Bus 290 km durch Estland und Rußland ins ehemalige Leningrad. Dieser Name hat mich an den Leningrad-Cowboys-Film von Aki Kaurismäki erinnert. Ich habe mir vorgenommen, Emma dieses Stück Kulturgut nahezubringen.

Grenzkontrolle
Grenzkontrolle

Schon bei Abfahrt bekommen wir Formulare für die Grenzkontrolle, die wir während der Busfahrt gewissenhaft ausfüllen. Als wir schließlich vor der Kontrolleurin stehen, zerreißt sie unsere Formulare. „You must do it again“ heißt es mit scharfem Akzent. Ich weiß nicht warum und wenn die alten falsch waren, dann sind doch die neuen auch wieder falsch. Je ungehaltener ich werde, desto freundlicher und fröhlicher wird Birgit – und füllt mit Freude alle Formulare noch mal aus. Sie findet, die Grenzbeamtin sieht aus wie die Kommisarin aus Bibi und Tina 2. Fröhlich singend: „Fluch doch, schrei doch…“ reisen wir nach Russland ein und steigen wieder in den Bus. Ein Foto der Komissarin gibt es aber leider nicht.

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Der Bus wirft uns an irgendeiner Straßenecke in St. Petersburg raus. Geplant oder gebucht haben wir nichts. Birgits Vodafone-Handy bekommt eine SMS, daß man für 5 Euro pro Tag eine Datenverbindung kaufen kann. Bei Telekom gibt es das nicht. Wieso nicht? Egal, so hatten wir also Google Maps und Lollipops für Hotels in der Nähe. Körperliche Stärkung befand sich sogar direkt vor unserer Nase.

Blubberwasser
Blubberwasser

Der erste Lollipop war falsch oder wir konnten es nicht finden. Der zweite hatte nur ein Zimmer für die erste Nacht. Mit dem dritten wurden wir handelseinig für eine „Suite“ für durchaus westeuropäische Preise, dafür aber mit Blubberwasser im Bad, für Emma viel interessanter als irgendwelche Zwiebeltürme, die wir auf dem Weg dorthin gesehen haben.

von der Brücke vor unserem Hotel
von der Brücke vor unserem Hotel

Mit einem ganzen und einem angebrochenen Tag für Besichtigungen müssen wir eine enge Auswahl treffen. Emma hat vom Bernsteinzimmer gehört und nach dem ganzen Bernstein der letzten Wochen will sie es sehen – koste es, was es wolle. Wie wir feststellen, wird es einen ganzen Tag kosten (und einiges Geld), denn es liegt 25 km außerhalb der Stadt. Das Hotel bietet uns für ein kleines Vermögen eine Tour mit einem Touristenbus an. Wir wollen lieber das richtige Leben sehen und mit Metro und Linienbus hinfahren. Auf gehts!

Sankt Petersburger Metro
Sankt Petersburger Metro

Mit der Rolltreppe geht es unheimlich viele Meter in die Tiefe, doppelt so viele wie bei der U2 am Hauptbahnhof, dann 6 Stationen in Richtung des riesigen Stadteils „Pushkin“.

hier wohnen die Millionen
hier wohnen die Millionen

Dort irren wir eine halbe Stunde herum und finden schließlich einen abgehalfterten Mercedes Sprinter, der uns den größten Teil der Strecke befördern soll. Von den 5 Millionen Einwohnern sind wohl nur etwa 2 mit der Metro angebunden. Die restlichen 3 müssen mit vermutlich tausenden solcher Kleinbusse klarkommen. Man bedient die Schiebetür selbst und zahlt 40 Rubel in Bar an den Fahrer. Bus und Fahrer gehören wohl dauerhaft zusammen, denn der Fahrerbereich ist mit Sitzauflagen, Duftbaum und Handyhalterung stark personalisiert. Es erinnert mich an Bilder aus Afrika oder der Karibik aber es funktioniert tadellos. Nach 30 Minuten Fahrt durch endlose Hochaus- und Einkaufszentrum-Siedlungen erreichen wir Tsarskoye Selo, ein Ensemble aus Palästen in einem riesigen Parkgelände. Der größte der Paläste, der Katharinenpalast, wurde für die Tochter Katharina der Großen gebaut.

Eingang von Tsarskoye Selo
Eingang von Tsarskoye Selo
Schlange bis zum Horizont
Schlange bis zum Horizont

Man zahlt Eintritt für den Park und gewinnt dadurch das Privileg, sich in eine unheimlich lange Schlange stellen zu dürfen, bei weitem die längste, in der ich je stand, und, so mein Vorsatz, je wieder stehen werde. Obwohl Schilder genau dieses Verhalten verbieten, besteht die Schlange bis kurz vor dem Ziel aus Platzhaltern, die öfter wechseln. Kurz vor dem Ziel verfünffacht sich die Menge der Menschen wieder. Auch Birgit und ich wechseln uns mit Schlangestehen ab. Aus dem vielsprachigen Mikrokosmos um uns herum vernehmen wir gerüchteweise, daß jede Menge Busladungen von Touristen von Kreuzfahrtschiffen außer Sicht an der Schlange vorbeigemauschelt werden. Das ist also die Dienstleistung, die wir für das kleine Vermögen im Hotel hätten kaufen können.

Spiegel-Teiche vor dem Katharinenpalast
Spiegel-Teiche vor dem Katharinenpalast
die Baume werden rasiert
die Baume werden rasiert

Birgit und Emma nutzen die Zeit für eine Kutschfahrt und landen so auf unzähligen Urlaubsfotos japanischer Touristen. Als sie wiederkommen regnet es. Birgit zaubert ein Plastik-Regencape aus ihrer Handtasche. Sie trägt es seit 2 Jahren herum. Das ist es also, was Frauen immer in ihrem Handtaschen haben.

IMG_0678

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Dann, auf der Zielgeraden, beschleunigt sich die Schlange merkbar. Jetzt, gegen Ende des Tages, sind die Kreuzfahrtouristen wohl wieder abgereist.

auf der Zielgeraden
auf der Zielgeraden

Nach gut 3 Stunden betreten wir das Gebäude und kaufen eine Eintrittskarte. Wir verzichten auf Kopfhörer für eine geführte Tour, was uns aber auch nichts hilft, denn wir müssen mit den Zuhörern der Tour zusammen warten. Als wir schließlich 10 Meter gewonnen haben, werden wir aufgefordert, auf Los zurückzugehen, denn wir tragen keine Überschuhe aus Stoff. Der Kopfhörer hätte uns wohl drauf hingewiesen. Mit der Geduld am Ende, beginnen wir, uns rücksichtslos an den Menschenmassen vorbeizudrängeln.

Palast 1
Palast 1
Palast 2
Palast 2

Es geht der Reihe nach durch diverse kunstvoll arrangierte Räume des Palastes, gefüllt mit so vielen Menschen, daß man oft kaum umfallen könnte. Der obszöne Reichtum, der zur Schau gestellt wird, und die drückenden Menschenmassen wirken zusammen. Ich versuche, die Sache möglichst schnell hinter mich zu bringen. Emma scheinbar auch.

das Foto, das es gar nicht geben dürfte
das Foto, das es gar nicht geben dürfte

Zwischendrin kommen wir durchs lang erwartete Bernsteinzimmer. Emma sagt, sie hätte es sich anders vorgestellt. Sie macht ein Foto, wird sofort darauf hingewiesen, daß das in diesem Raum verboten ist, aber das Bild ist im Kasten und die Kamera wird zum Glück nicht beschlagnahmt.

Wir lernen, daß Vorbeidrängeln besser geht, wenn Emma vorangeht. Die Menschen machen ihr Platz, weil sie denken, sie würde ihre verlorenen Eltern suchen. Dann rutsche ich hinterher und Birgit bleibt nichts anderes übrig, als auch mitzukommen. Mit dieser Taktik sind wir nach 20 Minuten im Kellergang Richtung Ausgang. Birgit ist enttäuscht, daß es schon wieder vorbei ist, aber mir geht es schlagartig besser. Hier, wo sich die Menschenmengen verlaufen und man nicht alle paar Meter aufgehalten wird, habe ich auch Muße, Fotos und Erläuterungen der jahrzehntelangen Restauration des Palastes anzusehen. Die Augen der Restaurateure auf den Bildern leuchten vor Stolz auf die erbrachte Leistung. Es ist wohl wirklich ein historisch wichtiges Dokument, aber die Räume wirken auf mich, als ob es nur um Zurschaustellung von Reichtum ginge, ein Wettkampf mit den anderen Königshäusern Europas darum, wer am meisten Geld verschwenden kann. Wenn Bilder wie diese in der Zeit vor der kommunistischen Revolution 1917 in der Bevölkerung bekannt waren, dann war die Zarenfamilie selbst Schuld an ihrem Niedergang. Ich hätte mich jedenfalls gleich am Ausgang einer Oktoberrevolution angeschlossen, wenn gerade eine im Gange gewesen wäre.

Birgit und Emma sehen das ganze viel weniger politisch und kaufen statt dessen im Museumsshop und an den Ständen am Ausgang des Parks reichlich Tinneff.

Tinneff
Tinneff
aus dem fahrenden Hop on-hop off-Bus
aus dem fahrenden Hop on-hop off-Bus
vom Balkon des ältesten Einkaufszentrums der Welt
vom Balkon des ältesten Einkaufszentrums der Welt

Nach einer Runde mit Hop on-Hop off und einer Stärkung bei Макдоналдс geht es am nächsten Tag heimwärts mit dem Bus. Das Chemieklo ist kaputt oder übergelaufen. Die Passagiere werden nach jeder Benutzung von einer Welle übelsten Gestanks heimgesucht. Birgit und Emma freuen sich die ganze Fahrt auf die strenge Komissarin an der Grenze, werden aber leider enttäuscht. Es ist eine andere Beamtin.

Wir sind froh, als wir gegen Mitternacht wieder zu Hause sind. Das ist natürlich unser Boot. Zu unserem Boot nach Hause gekommen bin ich schon öfter. Einmal sogar aus Hamburg, im Herbst 2013 auf unserer langen Bootsreise, als ich von Lissabon aus nach Hamburg zum Zahnarzt geflogen bin. Zu Hause ist ein relativer Begriff.

Emmas kleine Kotzkunde

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Kapitel 1: Kotzen für Anfänger

Regel 1: Niemals gegen den Wind kotzen (auch nicht gegen den Wind pinkeln)!

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Regel 2: Immer die Haare zusammenbinden (mach ich allerdings nie)!

Regel 3: Immer in die Schüssel kotzen (bei mir auch oft daneben).

Regel 4: Niemals vorher Blaubeeren essen (sonst gibt es blaue Flecken auf den Leinen).

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Kapitel 2: Kotzen für Fortgeschrittene

Regel 5: Wenn gerade keine Schüssel da ist, Kopf auf die Brust, T-Shirt/Anzug vorziehen und in den/das T-Shirt/Anzug kotzen.

 

Kapitel 3: Gar nicht Kotzen

Regel 1: Vomex nehmen.

Regel 2: Stugeron aus England importieren und vor der Fahrt nehmen.

Regel 3: Immer nach vorne gucken.

Regel 4: In Mamas Namen auf Mamas Handy Tante Maren Threemas schicken.

 

Kapitel 4: Kotzen für Meister

Auf dem Level bin ich noch nicht!

Das Land der doppelten Buchstaben

Als nächstes kommen wir nach Estland. Auf der Lotsenkarte der östlichen Ostsee, die seit letztem Jahr zu Hause an unserem Kühlschrank hängt, hat Emma den Namen in „Essland“ geändert (und Litauen in Lilauen).

Das erste Stück Estland, das wir zu sehen bekommen, ist die Insel Saaremaa und deren Hauptort Kuressaare. Man merkt es gleich, auch hier und nicht nur in Finnland sind doppelte Buchstaben sehr beliebt. Außerdem ist alles unheimlich sauber und ordentlich.

ausgebaumte Genua
ausgebaumte Genua

Nach einer Nacht und einem Tag auf See in recht ruhigen Bedingungen, motorsegeln mit achterlichem Wind, für ein paar Stunden ist der Motor auch aus, fahren wir durch eine lange ausgebaggerte Zufahrtsrinne und kommen in einen netten kleinen Hafen mit ruhiger Abendstimmung.

Ankommen in Kuressaare
Ankommen in Kuressaare

Ein anderes deutsches Boot gibt uns Liegeplatzhinweise. Der Hafenmeister ist schon gegangen aber der „Sadaama Pubi“ hat noch auf (Sadaam heißt Hafen und Pubi ist wohl aus England importiert).

Abendruhe in Kuressaare
Abendruhe in Kuressaare

Am nächsten morgen stellt sich heraus, daß der Hafenmeister für EUR 40 ein Auto vermietet. Der Vermietvorgang besteht nur aus dem Vorzeigen eines Führerscheins und dem Ausfüllen eines kleinen Formulars. Das Auto steht auf dem Parkplatz gleich daneben. Alles zusammen dauert keine 5 Minuten. Daran können sich Hertz und Co ein Beispiel nehmen. 5 Minuten vom Betreten des Büros bis zum Wegfahren schafft man nicht mal mit der Platin-Diamant-Kundenkarte. Im Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria ging es 2014 allerdings noch unkomplizierter. Wir hatten von anderen Seglern gehört, daß man von einem dort wohl hängengebliebenen Segler vom ersten Boot an unserem Steg Autos mieten kann. Wir klopfen an. Ein Kopf taucht auf. Wir tragen unser Anliegen vor. Er stellt nur eine Frage: „Wie heißt euer Boot und wo liegt ihr?“. Mit der Antwort zufrieden sagt er, daß das Auto da hinten steht, daß die Tür offen ist, der Zündschlüssel unter der Fußmatte liegt, wir wieder tanken sollen und das Auto genau so dort wieder abstellen sollen. Die Mietgebühr soll auch unter die Fußmatte, natürlich in bar. Da kommt wohl niemand anders mit.

Meteoritenkrater auf Saaremaa  - der Meteorit soll nur 3 bis 6m Durchmesser gehabt haben
Meteoritenkrater auf Saaremaa – der Meteorit soll nur 3 bis 6m Durchmesser gehabt haben

Mit dem Auto fahren wir auf Saaremaa herum, zu einem Meteoritenkrater und einer Windmühlenausstellung sowie zu einem „Selver“ Supermarkt.

Windmühlenmuseum
Windmühlenmuseum

Es ist eine süße Insel, die stark an Schweden erinnert. Dorthin gab und gibt es wohl vielfältige Beziehungen. Als gegen Ende des 2. Weltkriegs die rote Armee anrückte, sind viele der Eingeborenen nach Schweden geflohen.

Festungsanlage von Kuressaare mit Stuhl davor
Festungsanlage von Kuressaare mit Stuhl davor

Am nächsten Tag geht es weiter durch einen Sund zwischen mehreren Inseln und dem Festland Richtung Tallinn, der estnischen Hauptstadt. Unterwegs nach Saaremaa hatten wir uns schon entschieden, den Wettlauf gegen die Zeit aufzugeben. Wir haben unser Visum für Rußland zu früh bestellt (meine ich) bzw. ich habe zu lange mit Erledigungen herumgetrödelt (meint Birgit). Jetzt müßten wir wild hetzen, um kurz vor Ende des Visums mit dem Boot nach Sankt Petersburg zu kommen, damit wir uns dort wenigstens noch kurz umsehen können. Das ist anstrengend und wird irgendwie zu einem Selbstzweck, der keinen Sinn macht. Damit wir trotzdem nach Rußland kommen, wollen wir von Tallinn aus mit dem Bus hinfahren – ca. 280km für nur etwas über 100 Euro für uns drei, hin und zurück.
So geht es also etwas ruhiger aber noch nicht entspannt nach Tallinn mit einem Zwischenstop im nagelneuen und sterilen Fährhafen Kuivastu. Am ersten Tag kommt uns ein riesiges Regattafeld entgegen. Das in Führung liegende Boot passiert uns in einer viertel Meile Abstand. Wir können die Crew auf der hohen Kante sitzen sehen. Sie kommen von Tallinn und es geht wohl in einem Rutsch nach Danzig (dort war angekündigt, daß die ganze Marina gesperrt sein würde für eine Regatta). Ich weiß nicht, ob ich Lust hätte, in meiner Freizeit 550 Meilen, 3 Tage und Nächte oder auch länger, auf der hohen Kante zu sitzen. Aber sollte einem schlecht werden, ist man gleich optimal positioniert.

Fahren nach Linien
Fahren nach Linien

Ab Kuivastu geht es durch verwinkelte Fahrwasser zwischen kleinen und großen Inseln und in flachem Wasser mit großen Steinen drin. In der Karte sind deshalb Linien eingezeichnet, zusätzlich zu eventuell vorhandenen Fahrwassertonnen. Bleibt man auf der Linie, ist man sicher, weil alle hier langfahren, und wenn niemand vor uns auf einen Stein gebrummt ist, sind wohl keine da. Weicht man ab, geschieht das auf eigenes Risiko. Das „Linienfahren“ wird uns längere Zeit erhalten bleiben, von Estland über Finnland und Schweden bis südlich von Stockholm. Es ist immer noch Hochdruckwetter mit wechselnden schwachen Winden aus achterlichen Richtungen – also wieder Motorsegeln mit kurzen Segeleinlagen.

Harry Potter Band 4
Harry Potter Band 4

Bis Tallinn sind es 90 Meilen, von Vormittags bis Mitternacht. Wenn es etwas geradeaus geht und wir Empfang haben, sehe ich nach Liegemöglichkeiten in Tallinn und lese sonst in einem Segelbuch auf Kindle – das geht gut im Cockpit mit meinem Handy. Emma macht Schule, sieht Mediathek-Folgen, die ich mit Hilfe eines Mediathek-Download-Programms und einem VPN beschafft habe, oder liest Harry Potter (aus dem Ausland funktioniert die ZDF Mediathek nicht aber mit dem VPN kann man so tun, als wäre man in Deutschland).

kleine Wäsche unterwegs
kleine Wäsche unterwegs

Birgit ist Lehrerin in Emmas Schule, wäscht etwas Wäsche und legt einen Wellness-Tag ein mit Strähnen färben. Zwischendurch stelle ich für eine halbe Stunde den Motor aus und genieße bei 4 bis 5 Knoten Fahrt die Abendruhe. Danach weiter motoren – wir wollen schließlich irgendwann ankommen.

Sonne geht unter
Sonne geht unter
Mond geht auf
Mond geht auf

Gegen Mitternacht motoren wir bei spiegelglattem Wasser über die Bucht von Tallinn, zusammen mit ein paar wie Christbäume beleuchteten Fähr- und Kreuzfahrtschiffen. Es geht nicht in die „Old City Marina“ im Zentrum von Tallinn sondern nach Pirita, ein riesiger Yachthafen in zerbröckelnder 70er-Jahre Betonarchitektur. Es ist das Segel-Olympiazentrum, das zu den Moskauer Olymiaspielen von 1980 gebaut wurde, und es ist kein Stück schöner als Kiel-Schilksee (1976er Olympiade in München). Hier ist es aber viel billiger als in Tallinn (31 statt 55 Euro) und wir wollen ja drei Tage nach Sankt Petersburg.

Fast vorbeigefahren

Nach dem schlechten Wetter in Klaipeda gab es ein Hochdruckgebiet. Allerdings waren wir schon wieder direkt drunter und die Windrichtung war wieder nicht wie angesagt. Als wir in Klaipeda losgefahren sind, hatten wir mit westlichem oder nordwestlichem Wind gerechnet. Das war er auch für ein paar Stunden aber dann drehte er auf Nord und blieb dort.

letztes Licht beim Einlaufen in Liepaja
letztes Licht beim Einlaufen in Liepaja

Nach etlichen Stunden Gegenanmotoren hatten wir genug und haben uns entschlossen, in der Stadt Liepaja eine Pause einzulegen. Dadurch sind wir doch nicht an Lettland vorbeigefahren und unsere lettische Gastlandflagge (rot-weiß-rot gestreift, der weiße Streifen dünner ist als die roten) war doch zu was nütze.

Hafenarbeiter beim Einlaufen
Hafenarbeiter beim Einlaufen

Ich hatte eine Industrieansammlung erwartet und wurde positiv überrascht. Der Hafenkanal war eine Industrieansammlung aber diese hier duftete nach frisch geschnittenem Holz, den hier wird Holz verladen statt Öl. Uns wurde zugewinkt von Arbeitern, die ein Frachtschiff beluden und wir bekamen einen ausgestreckten Daumen für unsere deutsche Flagge. Am kleinen Schwimmsteg für Yachten waren nur Gastboote und die Finnen aus Klaipeda waren auch schon da, um wie wir hier auf Südwind zu warten.

Hafenkanal am Morgen
Hafenkanal am Morgen

Am nächsten Morgen schien die Sonne und der Wetterbericht verhieß für den Abend einschlafenden Wind und ab Mitternacht Südwind. Der Stop war also eine gute Idee und hat uns 100sm Gegenanmotoren erspart.

morbider Industriecharme
morbider Industriecharme

Wir haben also den Tag in der Stadt verbracht und sie hat mir gefallen.

Stadtplan
Stadtplan

Es gab z.B. einen 3D-Stadtplan zum anfassen und eine schicke Konzerthalle aus orangem Glas, in der man herumlaufen konnte.

Konzerthalle von innen - wer findet unser Boot?
Konzerthalle von innen – wer findet unser Boot?
Dieser Fensterputzer hat noch ordentlich was vor
Dieser Fensterputzer hat noch ordentlich was vor

Ein erheblicher Teil der Häuser ist aus Holz, viele davon etwas heruntergekommen, andere gut in Schuß und sogar mit Bankfilialen drin.

Emma beim Sportunterricht
Emma beim Sportunterricht

Der Tag war auch für Emma ein Erfolg, denn in einem Park auf dem Weg zum Strand gab es ein vierrädriges viersitziges Tretmobil mit Elektrounterstützung zu mieten. Der Motor arbeitete nur, wenn man auch selbst tritt, aber Emmas Kraft allein hat dafür gereicht. Birgit und ich wurden eine halbe Stunde durch den Park kutschiert. Wir haben es zum Sportunterricht erklärt. Die Spannung stieg, als es ein abschüssiges Stück herunterging. Das Lenkrad hatte eine halbe Umdrehung Spiel, Emma war zu schwach für die Bremse und der Weg war voller Fußgänger. Also habe ich gebremst und Birgit hat Huperäusche gemacht, um die Fußgänger zu warnen. Unten hieß es sofort: „Nochmal!“

Am Strand sind wir nur ein paar Minuten rumgestanden und dann wieder gegangen. Wir sind halt keine Strandurlauber.

saussss - endlich haben wir eine Kamera, mit der man solche Fotos machen kann
saussss – endlich haben wir eine Kamera, mit der man solche Fotos machen kann

Als ich um 23h das Boot für die Weiterfahrt klar gemacht habe, lief ein Rockkonzert in einem Club direkt neben uns – noch ein nettes Erlebnis in diesem Notstopp. Einem Rockkonzert von Bord aus zuzuhören hatten wir schon einmal, in Angra Do Heroismo auf der Azoreninsel Terceira, aber hier war die Musik viel besser. Liepaja gehört jetzt auch zu unseren besonderen Boots-Erlebnissen wie schon zum Beispiel ein Konvoi mit 20 anderen Booten durch die Altstadt von Amsterdam mitten in der Nacht.

kann man bestimmt kaufen...
kann man bestimmt kaufen…

Die Nachtfahrt dann war viel angenehmer als die von Danzig, bei klarem Himmel und angenehmer Temperatur.

Licht aus dem Norden
Licht aus dem Norden

Die ganze nur 4 Stunden lange Nacht konnte man deutlich die Sonne aus dem Norden zu uns herunter leuchten sehen. Norden wir kommen!

Puke-a-thon

Diesen Begriff habe ich auf einer englischen Segelseite entdeckt und er beschreibt sehr gut eine Disziplin, in der es kaum einer der geneigten Leser mit mir aufnehmen kann: Marathon-Kotzen. Auf den Sommertörns der letzten beiden Jahre ist es etwas in Vergessenheit geraten aber jetzt habe ich wieder einmal gezeigt, daß ich über die Jahre nichts verlernt habe.

Anlaß war ein 120sm Schlag von Danzig nach Klaipeda in Litauen.

Klaipeda war mal der Sitz des preußischen Königs
Klaipeda war mal der Sitz des preußischen Königs

Wenn man lange genug schlechte Wettervorhersagen verfolgt(Wettervorhersagen sind für Segler etwa dasselbe wie Aktienkurse für Hobbyinvestoren), dann betrachtet man etwas als Fenster, das man andernfalls als Grund gesehen hätte, liegenzubleiben. So kam es, daß wir aus Danzig ausgelaufen sind mit einer Vorhersage von 20 Knoten in Böen 25 (5 bzw. 6 Beaufort) bei halbem Wind (Windrichtung im rechten Winkel zu unserem Kurs). Dabei hatte ich verdrängt, daß das Tiefdruckgebiet direkt über uns wegziehen würde und deshalb schon eine kleine Änderung der Zugbahn große Auswirkungen auf die Windrichtung haben würde und sich die Vorhersage deshalb auch mehrere Male in Folge erheblich verändert hatte. Tatsächlich hatten wir vorlichen wahren Wind und deshalb noch vorlicheren scheinbaren Wind – so gut wie hoch am Wind. Und es war ein alter Schwell von den vorausgegangenen Starkwind-Tagen übrig, bei dem ich auf Atlantik und nicht auf Ostsee getippt hätte.

Es war also keine schöne Strecke aber irgendwann waren wir trotzdem da und es war ja nun auch keine neue Erfahrung für uns. Emma hat irgendwann zum Glück geschlafen und ich konnte in den Freiwachen schlafen und hatte dadurch Kotzpause. Birgit hat allerdings gar nicht geschlafen. Wegen Sorgen, ich könnte über Bord gegangen sein, wenn eine Weile keine einschlägigen Geräusche von mir zu hören gewesen waren. Ich habe nicht gefragt, ob sie sich um mich sorgte oder nur Angst hatte, sie müßte das Boot unter diesen Umständen allein nach Klaipeda bringen.

Zwar kann man auf unserem Boot kaum beim Übergeben über Bord fallen, denn es gibt einen exzellenten Platz dafür, zwischen zwei V-förmigen Rohren des Bimini-Gestells, aber das half wohl auch nichts. Ich habe ein ingeniöses System für eine Sicherungsleine im Cockpit entwickelt, bei der ein Gurtband als loser Ring um die beiden Sockel des Cockpittisches geführt ist und der Haken des Sicherungsgurtes an diesem Ring eingehängt ist. Sollte man das wollen, könnte man damit angeleint Runden um unseren Cockpittisch joggen. Die Länge des Sicherungsgurtes ist so, daß man an keinem Punkt die Reling erreichen kann. Das soll so sein – ein guter Gurt soll ja verhindern, daß man über die Reling geht oder zwischen Deck und dem unteren Relingsdurchzug durchrutscht – bloß beim Kotzen ist es unpraktisch. Ich versuche, da noch mal was zu verbessern.

Der erste Eindruck von Klaipeda war schlecht: Industriewüste, Geruch nach Ölraffinerie, ein riesiges Kreuzfahrtschiff direkt neben der Anlegestelle für Yachten, heulender Wind und Dauerregen. Birgit war trotzdem schon eingeschlafen, bevor der letzte Festmacher dran war. Ich dagegen hatte die perfekt ausgeschlafene Emma am Hals bzw. zu beschulen. Erst mal ein paar TUC-Kekse mit Butter machen … Nach kurzer Zeit kam der Hafenmeister und teilte mit, daß wir den Platz wieder räumen müßten. Unterbrochen durch laute Durchsagen vom Kreuzfahrtschiff, wann sich welche geführte Gruppe wo an Bord treffen soll, habe ich geantwortet, daß ich den Platz auch gern schnell wieder räumen möchte, er dazu aber bitte erstmal einen besseren finden soll. Er hat uns dann einen im viel netteren inneren Hafen in einem ehemaligen Schloßgraben gefunden und wir durften auch noch ein paar Stunden warten mit dem Verholen, damit Birgit noch eine Weile schlafen konnte. Auch die gefürchtete Zollabfertigung blieb uns erspart. Es hätte Birgit bestimmt nicht gefallen, von eimem litauischen Zöllner geweckt zu werden. Wir waren bei der Annäherung an Klaipeda noch auf See über Funk gerufen worden mit Fragen zu Flagge, letztem Hafen, Personen an Bord und deren Nationalität. Man hat uns gesagt, wir sollten uns wieder melden, wenn wir festgemacht hätten. Als ich mich dann gemeldet habe, gab es nicht den erwarteten Besuch von Zollbeamten sondern nur die Aufforderung, uns bei der Abfahrt über Funk wieder abzumelden.

Die Drehbrücke wird geöffnet
Die Drehbrücke wird geöffnet

In den Schloßgraben gelangt man durch eine historische Drehbrücke, die stündlich von zwei Hafenmeistern mit Muskelkraft geöffnet wird, die dazu zigmal im Kreis laufen müssen. Der Liegeplatz war gut – ohne Ölgestank, dafür mit rauschenden Bäumen und neben dem einzigen fremden Boot – aus Finnland.

Der Klabautermann kommt über die Hafenmauer gekrochen
Der Klabautermann kommt über die Hafenmauer gekrochen

Als Bootsreisender hebt man angesichts eines neuen Hafens immer den Blick auf die Masten und sucht nach welchen mit Gastlandflaggen dran. Das sind fremde Boote, die meistens bewohnt sind, und von denen man viele Dinge über den Ort oder das Land, das Wetter und die Weiterreise erfahren kann.
Die Finnen Matti und Riitta waren schon mehrere Tage da, wegen schlechten Wetters, und haben uns mit wissenswertem über die Stadt versorgt und später auch über finnische Häfen.
Die Stadt machte auf mich einen ganz netten aber irgendwie doch ein wenig trübseligen Eindruck. Ich hatte vor dieser Reise außer mit Ost-Berlin keine Erfahrung mit der ehemaligen Sowjetunion und lerne jetzt langsam dazu. Gut gefallen hat mir, daß keiner der Läden in der Altstadt zu einer Kette gehört. Auch in Danzig war nur das große Einkaufszentrum voller Ketten – die allerdings genau die gleichen wie in Kiel. So muß es wohl früher, als ich ein kleines Kind war, auch in Deutschland gewesen sein.

Düne mit Nida in Hintergrund
Düne mit Nida in Hintergrund

Wir waren drei Nächte in Klaipeda, wegen schlechtem Wetter. Am zweiten Tag sind wir mit Fähre und Bus auf die Kurische Nehrung gefahren. Der Hauptort Nida ist touristisch.

Hafen von Nida und einizges Boot mit Gastlandflagge
Hafen von Nida und einizges Boot mit Gastlandflagge

Es gibt außer den Wanderdünen aber auch einen Yachthafen und es lag immerhin ein Boot mit Gastlandflagge dort, aus Schweden.

Wanderdüne - die dunkle Landzunge im Hintergrund gehört schon zu Rußland
Wanderdüne – die dunkle Landzunge im Hintergrund gehört schon zu Rußland
Litauische Küche in nettem Restaurant
Litauische Küche in nettem Restaurant

Am Mittag des vierten Tages mußten die Hafenmeister wieder für uns im Kreis laufen denn es ging weiter nach Norden, möglichst an Lettland vorbei bis nach Estland, so der Plan.

Hochdruckwetter auf dem Weg nach Norden
Hochdruckwetter auf dem Weg nach Norden

Hey Teachers Leave This Kid Alone

Meine Lehrer sind doof! Papi verlängert immer die Mathestunden und Mami droht damit, in den Sommerferien Schule zu machen! Immer gleich nach dem Aufstehen sagt Mami: ,,Wir machen jetzt Unterricht“. Das hält doch kein Mensch aus und das ist noch lange nicht alles! Der Stundenplan ist doof.

schrecklich, nicht?
schrecklich, nicht?

Immer ist Mathe zuerst, das nervt! Nicht mal Frühstück kommt als erstes. Und wenn ich dann Schule, mache meckern sie mich an, daß ich etwas anderes machen soll, zum Beispiel Zimmer aufräumen oder Seebett machen. Ich wünschte, wir hätten diese Reise nicht gemacht, dann wäre ich jetzt in meiner Klasse und müsste nicht den ganzen Tag Mathe machen. Und das Schlimmste ist, daß Mami und Papi in Łeba, als wir mit den Fahrrädern zu der Wanderdüne gefahren sind, mir Geteilt- und Malaufgaben gestellt haben und noch schlimmer ist, daß ich mich immer melden muss. In meiner Klasse musste man sich nie melden! Herr Wietholz ist viel besser!!!

und dauernd müsen meine lerer  die recht schreib feler ferbesern!!!