Hey Teachers Leave This Kid Alone

Meine Lehrer sind doof! Papi verlängert immer die Mathestunden und Mami droht damit, in den Sommerferien Schule zu machen! Immer gleich nach dem Aufstehen sagt Mami: ,,Wir machen jetzt Unterricht“. Das hält doch kein Mensch aus und das ist noch lange nicht alles! Der Stundenplan ist doof.

schrecklich, nicht?
schrecklich, nicht?

Immer ist Mathe zuerst, das nervt! Nicht mal Frühstück kommt als erstes. Und wenn ich dann Schule, mache meckern sie mich an, daß ich etwas anderes machen soll, zum Beispiel Zimmer aufräumen oder Seebett machen. Ich wünschte, wir hätten diese Reise nicht gemacht, dann wäre ich jetzt in meiner Klasse und müsste nicht den ganzen Tag Mathe machen. Und das Schlimmste ist, daß Mami und Papi in Łeba, als wir mit den Fahrrädern zu der Wanderdüne gefahren sind, mir Geteilt- und Malaufgaben gestellt haben und noch schlimmer ist, daß ich mich immer melden muss. In meiner Klasse musste man sich nie melden! Herr Wietholz ist viel besser!!!

und dauernd müsen meine lerer  die recht schreib feler ferbesern!!!

Freiheit

heißt auf polnisch Wolności und die Danziger haben eine besondere Beziehung dazu, weil im August 1980 auf der Danziger Lenin Werft mit Solidarność die erste selbstverwaltete Gewerkschaft Polens mit uneingeschränktem Streikrecht erkämpft wurde. Unterbrochen durch das Kriegsrecht ein Jahr später, das bis 1988 galt, führte diese Bewegung – kann man wohl sagen – zu einer demokratischen Regierung für Polen, zum Zerfall der Sowjetunion und letztlich sogar zur Wiedervereinigung Deutschlands (Kohl hätte natürlich gesagt, es wäre alles sein Verdienst). Insofern muß man den Polen Respekt zollen. Wenn sie jetzt nur nicht alles damals Erkämpfte im Klo runterspülen würden – mit demokratischer Legitimierung.

Tafeln (Sperrholzplatten) mit 21 Forderungen, die an Werktor 2 angeschlagen waren - jetzt aufgenommen in das UNESCO "Gedächtnis der Menschheit", zusammen mit u.a. einem Sternenatlas von Kopernicus und der Gutenberg-Bibel
Tafeln (Sperrholzplatten) mit 21 Forderungen, die an Werktor 2 angeschlagen waren – jetzt aufgenommen in das UNESCO „Gedächtnis der Menschheit“, zusammen mit u.a. einem Sternenatlas von Kopernicus und der Gutenberg-Bibel
Pullover von Lech Walesa ...
Pullover von Lech Walesa …
... getragen bei der Unterzeichnung des Danziger Abkommens
… getragen bei der Unterzeichnung des Danziger Abkommens
Elektrischer Widerstand, den Solidarność-Kämpfer als Zeichen ihres Widerstands am Overall trugen (Walesa war Elektriker)
Elektrischer Widerstand, den Solidarność-Kämpfer als Zeichen ihres Widerstands am Overall trugen (Walesa war Elektriker)

Im Solidarity Center, einem Veranstaltungszentrum und Solidarność-Museum, das jetzt direkt neben dem Werfttor 2 steht, an dem alles begann, gibt es Tassen mit der Aufschrift „Freedom was born in Gdansk“.

Werfttor 2, jetzt mit Kopie der Tafeln. Die Werft dahinter gibt es nicht mehr, dafür jetzt das Museum
Werfttor 2, jetzt mit Kopie der Tafeln. Die Werft dahinter gibt es nicht mehr, dafür jetzt das Museum

Naja, da würden die Amis wohl auch noch den einen oder anderen Anspruch erheben. Aber, so kommt es mir vor, die Danziger wollen ihre Stadt in erster Linie als Stadt der Freiheit zeigen und erst danach als traditiondreiche Hansestadt.

Modell des großen Krans, Wahrzeichen von Danzig
Modell des großen Krans, Wahrzeichen von Danzig
und Original
und Original

Was nehme ich aus Danzig mit? Zwar wurde die Freiheit möglicherweise hier geboren, aber sie scheint noch im Kleinkind-Alter zu sein. Als ich das als Museum eingerichtete ehemalige Frachtschiff „Soldek“ besichtigen wollte und mich anschickte, an Bord herumzulaufen, wo ich wollte, wurde ich vom Wärter mit lautem Rufen herbeizitiert und aufgeklärt, daß ich dem Rundgang zu folgen hätte. Warum? Die Antwort war so etwas wie „weil es ihn nun mal gibt und weil man es so machen soll“. Daraufhin habe ich etwas genauer hingesehen und festgestellt, daß niemand bei rot über die Fußgängerampel geht. Vielleicht parkt sogar keiner der neureichen Porsches und AMG Mercedes im Halteverbot. Ich erkläre mich zum Entwicklungshelfer in Sachen Freiheit und gehe und fahre seitdem demonstrativ über alle roten Fußgängerampeln, die ich finden kann.
Ansonsten besteht Danzig für mich aus einem Gegensatz zwischen historischer Architektur in der Altstadt mit reichlich Touristennepp und einer 6-spurigen Pracht- und Marschierstraße aus Sowjetrepublik-Zeiten, die vom Zentrum in die Wohngegenden führt, komplett mit Panzer als Denkmal.

Panzer-Denkmal
Panzer-Denkmal

Und dem Gegensatz zwischen durchschnittlichem Brutto-Monatseinkommen eines Arbeiters von 4.000 Zloty und Mengen an teuren Autos und Restaurants, die man sich davon niemals leisten könnte.
Und was nehmen Birgit und Emma aus Danzig mit? Bernstein.

Denkmal auf der Westerplatte
Denkmal auf der Westerplatte

In Danzig gibt es auch noch die Westerplatte, an der der zweite Weltkrieg begann. Schiffe und Boote, die an einem Denkmal auf der Westerplatte vorbeifahren, sollen ihre Nationalflagge dippen (kurz herunternziehen oder nehmen und wieder hochziehen). Auf dem Rückweg hat Emma das gemacht.

Touristen
Touristen

Was wir bisher noch nicht so richtig hatten sind nette Segler von anderen Booten, mit denen man Erfahrungen und Tips austauscht und eine nette Zeit verbringt – gerne Familien mit Kindern. Ich betrachte jedes deutsche Boot interessiert und hier und da ist etwas dabei aber keine Kinder und nicht so wie auf unserer Reise 2013 und 2014. Wenn wir Lust auf soziale Kontakte hatten, konnten wir bei jedem beliebigen Langfahrtboot (die erkennt man sofort) anklopfen, Hallo sagen und hatten sofort eine Beschäftigung für den Abend und vielleicht neue Freunde. Das liegt daran, daß die Langfahrtsegler ein extrem stark gefilterter Teil der Bevölkerung sind. Ich weiß nicht genau, warum es das auf der Ostsee bisher nicht gegeben hat. Wahrscheinlich ist die Filterung noch nicht stark genug. Mal sehen was noch so kommt.

Marina Gdansk
Marina Gdansk

Wir waren eine ganze Woche hier, aufgehalten von 3 Tagen Ostwind (den brauchen wir bitte erst in der 3. und 4. Augustwoche) und einem Tiefdruckgebiet mit stürmischem Westwind. Neben Besichtigungen haben wir die Tage auch verbracht mit Einkäufen im Einkaufszentrum,

Ostsee mit Hansestädten als Bodenschmuck im Einkaufszentrum - aber wo ist die westliche Ostsee?
Ostsee mit Hansestädten als Bodenschmuck im Einkaufszentrum – aber wo ist die westliche Ostsee?
Selfie-Box 1
Selfie-Box 1
Selfie-Box 2
Selfie-Box 2
Selfie-Box 3
Selfie-Box 3

diversen Supermärkten (96 Flaschen Sprudelwasser zu je 15 Euro Cent. Pfand gibt es nicht. 4 Fahrten mit dem Klapprad),

ohne die Klappräder wären wir verloren
ohne die Klappräder wären wir verloren

Verköstigungen von Salzkräckern als Ersatz für unseren erschöpften Vorrat an TUC Keksen sowie Tütensuppen für Nachtwachen und mit Wäschewaschen. Mit Birgits Nähmaschine haben wir auch noch 5 Mückennetze für die Decksluken und eines für den Niedergang genäht und ich habe eine Farbrolle besorgt, um damit das Sprayhood zu imprägnieren, sobald es aufhört zu regnen. Ich habe auch noch die Firmware im Router upgedated und alle Mediathek-Folgen von Emma und Filme auf eine neue Wechselfestplatte kopiert und diese an den Router angeschlossen. Solche Dinge würde ein normaler Mensch nicht im Urlaub machen aber für Langfahrtsegler gehört es nun mal dazu. Ich vermute, daß mindestens ein Viertel, eher ein Drittel der Zeit verbracht wird mit Dingen, die zu Hause 10 mal schneller gingen (z.B. Wäsche waschen) oder die man gar nicht machen würde (z.B. Ersatz für TUC-Kekse suchen). Schule ist auch etwas, das wir zu Hause nicht machen würden. Jetzt an 5 Tagen in der Woche mehrere Stunden.
Dazu kommt dann noch das eigentliche Reisen und die Vorbereitung davon (z.B. jeden Tag 10 Minuten Wettervorhersage ansehen und überlegen, wann wir weiterfahren, oder herausfinden, ob das russische Schießgebiet 117 gesperrt ist, wenn wir durch wollen).
Insofern gehen die 7 Tage in Ordnung. Jetzt muß es dann aber mal weiter gehen.

Niespodzianka!

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Überraschung, wir sind in Polen. Zunächst in Łeba, um dort große Mengen Sand zu besichtigen. Der kleine Strich im L bedeutet, daß das L stumm ist. Es wird also Weh-ba ausgesprochen. Glaube ich. Es ist ein Touristenort von einer ziemlich üblen Sorte und es ist mein erster Kontakt mit Polen. Emma und Birgit wollten hierher wegen des Sandes.

Polen an Horizont
Polen an Horizont

Nach einer unproblematischen Überfahrt von Christiansö, zum großen Teil gesegelt, zum kleinen Teil gemotorsegelt, tauchte am Morgen eine flache Sandküste am Horizont auf. Dann ging es eine zum Kanal ausgebaggerte Flußmündung hinein zu einem rechteckigen Hafenbecken für Yachten.

Mein erstes Stück Polen
Mein erstes Stück Polen

Nicht besonders schön aber man liegt absolut ruhig – etwas, das wir eigentlich noch gar nicht hatten auf dieser Reise und erst recht nicht in Christiansö.
Birgit kommt vom Hafenmeister zurück mit der Auskunft, daß es 60 Zloty kostet. Mir war nicht klar, daß Polen nicht am Euro teilgenommen hat aber so ist es wohl. Ein Zloty sind 23 Euro Cent. Damit ist der Preis nicht zu beantstanden.
Birgit will noch schlafen. Ich hole die Klappräder heraus und fahre mit Emma durch den Ort. Unsere Straße heißt „ul.Turistyka“, „Touristen-Straße“. Auch als Tourist würde ich ja nie in so einer Straße wohnen wollen. Das sehen die Polen aber wohl anders, denn es gibt hier z.B auch „Bar Turistyka“.
Wie gesagt finde ich den Ort zum abgewöhnen, unter anderem, weil alles irgendwie zusammengezimmert ist – mein festsitzendes Vorurteil den Polen gegenüber. Aber wir finden einen Geldautomat (nicht zusammengezimmert sondern von Wincor-Nixdorf) und lassen uns in der Touristen-Pizzeria den Weg zum Supermarkt erklären.

Tröööt
Tröööt
Labiryntu
Labiryntu

Neben dem Supermarkt entdeckt Emma ein Labyrinth aus hohen Hecken mit recht beachtlichen Ausmaßen, genug, um stundenlang darin herumzuirren. Um das zu verhindern, kaufe ich an der Kasse noch eine Karte dazu und bleibe mit Emma so lange vor dem Eingang sitzen, bis sie auf der Karte die richtige Route gefunden und mit einem geliehenen Stift markiert hat. Trotzdem dauert es eine halbe Stunde bis zum Ziel.

Abendessen im Fischimbiß
Abendessen im Fischimbiß

Abends fahren wir nochmal mit Birgit los, der der Ort viel besser gefällt, und finden einen Fisch-Imbiß, der meinen Favoriten, Dock House in Sag Harbor auf Long Island, zwar nicht erreicht aber trotzdem sehr gut ist.

auf zum Sand
auf zum Sand

Am nächsten Tag gehen wir den Sand besichtigen. Wir fahren mit den Fahrrädern knapp 8 Kilometer in den Slowinski Nationalpark hinein. Hätten wir die Fahrräder nicht, hätten wir uns von den Touristenneppern abziehen lassen müssen für Transport mit dem Golf Cart. Hier sind die Wanderdünen, die eigentliche Attraktion von Leba. Wir laufen drauf herum, bis mir nach 1 1/2 Stunden die Füße wehtun.

Sand
Sand
mehr Sand
mehr Sand

Emma füllt eine Flasche Sand ab, die sich zu dem Granit von Bornholm gesellen wird. Solcherlei gewichtige Mitbringsel müssen wir auf der Steuerbordseite vorn im Schiff stauen um den Trimm zu verbessern.

Am Tag danach geht es weiter die Küste hinunter. Wir wollen nach Danzig und planen diesmal keine Nachtfahrt. Es weht aus West, also die richtige Richtung, aber mit giftigen Böen von 30 Knoten. Wir wollen mal sehen, wie viele der 70 Meilen bis Danzig wir schaffen.

wir brettern nach Danzig
wir brettern nach Danzig

Am Ende schaffen wir alle 70 – die längste Tagesetappe, die wir je hatten. Das liegt an erstklassiger Fahrt von meistens über 7 Knoten – im Surf die Wellen herunter sehe ich zweimal eine 10.

ich naß, Emma und Birgit trocken
ich naß, Emma und Birgit trocken

Gegen Ende müssen wir motorsegelnd hoch am Wind und gegenan bei heftigen Schauern in der einsetzenden Dämmerung die Danziger Bucht überqueren, um in die Hafenkanäle von Danzig einzulaufen.

Danziger Hafenkanäle in der Abenddämmerung
Danziger Hafenkanäle in der Abenddämmerung

Das war ein schönes Stück segeln und wir sind ordentlich geschafft, haben es aber gut überstanden. Emma hat sich unter der Sprayhood ein Nest aus Cockpitkissen gebaut und dort auf dem ruhigeren letzten Stück im Wunschpunsch-Buch von Michael Ende gelesen. Ich sehe den vielen weiteren Meilen bis St. Petersburg jetzt zuversichtlich entgegen.