In die Dunkelheit

Eine sehr schöne Nachtfahrt mit angenehmem Segeln hat uns nach Visby gebracht. Die Hochgeschwindigkeitsfähre von Nynäshamn nach Visby ist dabei Kreise um uns gefahren. Mit 30 Knoten, weit mehr als nötig ist, um auf den bloßen Füßen Wasserski zu laufen, ist sie uns 3 mal auf der Backbordseite entgegengekommen und hat uns 3 mal auf der Steuerbordseite überholt.

Dom in Visby
Dom in Visby

Egal, denn es gab einen prima Sonnenaufgang über dem Meer. Untergegangen ist die Sonne noch in den südlichen Stockholmer Schären, unangenehm früh, und es war ziemlich dunkel nachts. Von dem hellen Schein im Norden war auch nur noch ein Hauch zu sehen. Das Dunkel des Winters kommt mit Riesenschritten auf uns zu, weil wir gleichzeitig nach Süden fahren und die Tage kürzer werden. Als 2013 die Tage kürzer wurden, standen wir noch am Anfang unserer Reise in den Süden. An den dunkelsten Tagen dieses Winters waren wir in Marokko und Lanzarote. Da hat mich die Dunkelheit nicht gestört. Aber bei einer Reise in den Norden bedeutet Dunkelheit auch das Ende der Saison und Heimkehr.

Visby Marina
Visby Marina

Für mich hilft da nur viele Fotos machen, die ich bei der Arbeit im Dezember, wenn es Nachmittags um fünf schon dunkel ist, bei Schneeregen und Produktionsproblemen betrachten kann. Und Pläne schmieden für den nächsten Sommer! Daß es wieder nach Norden geht, ist für mich eigentlich ohne Alternative. Zum einen wegen der Helligkeit und zum anderen, um dem schlechten Wetter zu entkommen. Vielleicht gibt es auch verregnete und stürmische Sommer in Schweden aber das hatten wir noch nie. Auf dieser Reise gab es nur eine kleine Handvoll trüber Tage. Heulende Böen, 10 Grad Lage im Hafen und waagerecht fliegenden Regen, wie schon öfter Sommers in Dänemark, hatten wir nicht. Unter den 1.000 Fotos dieser Fahrt finde ich nur etwa 10 mit bewölktem Himmel oder Regen. Nun, vielleicht macht man bei Regen weniger Fotos aber ich finde, das sagt trotzdem etwas. Es ist ein Bißchen so, wie damals im Winter auf den Kanaren und Azoren, wo wir fünf Monate so gut wie keinen Regen hatten, so daß Deck und Rigg mit einer dicken roten Staubschicht aus Saharasand überzogen war.
Eine meteorologische Theorie besagt, daß entweder Deutschland oder Skandinavien einen guten Sommer hat, nicht beide gleichzeitig, weil das Azorenhoch, wenn es kräftig ausgebildet ist und weiter nördlich liegt, die auf dem Nordatlantik geborenen Tiefs auf ihrem Weg nach Osten etwas nach Norden schubst. Dann hat Skandinavien Pech und Deutschland Glück. Ist das Azorenhoch schwach und weiter südlich, ziehen die Tiefs über Deutschland hinweg und Skandinavien hat gutes Wetter. Diesen Sommer war es wohl letzteres. Die drei weiteren Male, die wir bisher mit dem Boot in Schweden waren, war auch immer gutes Wetter. Deswegen halten wir es für eine statistisch belegte Tatsache und wollen wieder hin.

Visby ist die Hauptstadt der schwedischen Insel Gotland, mitten in der Ostsee gelegen. Sie hatte ihre Hochzeit im Mittelalter als bedeutende Hansestadt. Wenn fast aller Handel über die See stattfindet, ist eine Insellage kein Hindernis. Die Stadt ist immer noch voller mittelalterlicher Gebäude und die Stadtmauer fast vollständig erhalten.

Villa Villekulla
Villa Villekulla

Es ist aber ein anderes historisches Gebäude, das Emma viel mehr interessiert: die original Villa Kunterbunt (Villa Villekulla auf schwedisch). Original deshalb, weil die Pippi Langstrumpf-Filme hier gedreht wurden. Die ehemalige Filmkulisse steht jetzt in einem Vergnügungspark, der Birgit und Emma besser gefallen hat, als das Legoland in Billund.

Pippis Pferd
Pippis Pferd

Er liegt etwas außerhalb der Stadt und für den Transport haben wir einen prima Service der Marina von Visby genutzt: das „Free Car“ – ein abgehalfterter aber fahrtüchtiger Skoda, den jeder Marinagast einfach nehmen kann, wenn er vorher seinen Namen auf eine Liste schreibt. Der Mietvorgang ist sogar noch etwas einfacher als in Las Palmas: man nimmt den Schlüssel von einem Haken an der Wand, steigt ein und fährt los. Wenn man zurück ist, hängt man den Schlüssel wieder an den Haken und wirft etwas Benzingeld in eine Box – wenn man will, kontrolliert wird es nicht. Jeder darf nur eine Stunde pro Tag unterwegs sein, aber weil wenig los war, durfte ich das Auto zweimal haben, um Birgit und Emma zum Park zu fahren und wieder abzuholen.

Tschüß Visby
Tschüß Visby
Leuchtturm Lange Erik an Ölands Nordspitze
Leuchtturm Lange Erik an Ölands Nordspitze

Der nächste Stop ist Öland, die andere große schwedische Insel. Ö-land heißt – etwas phantasielos – „Inselland“. Schräg gegenüber, zu Estland gehörend, liegt Saaremaa und dieser Name, Niels aus Stockholm hat mich darauf aufmerksam gemacht, heißt genau das gleiche auf Estnisch. Saare=Insel, Maa=Land.
Auf dem schwedischen Inselland machen wir aber nur ein paar Schritte – auf einer häßlichen Betonbrücke in der ansonsten idyllischen kreisrunden Bucht an ihrer Nordspitze, wo wir eine Nacht verbringen.

Wir nähern uns der Schäre
Wir nähern uns der Schäre

Danach kommt eine Nacht an einer Schäre, von denen es weniger gab als gehofft auf dieser Reise, diesmal sogar längseits dran liegen. Das Fahrwasser dahin ist extrem eng und voller Steine. Sehr anstrengend, aber der Platz ist es wert – finde ich. Emma findet die Insel zu klein für Exkursionen und daß das Wasser zu viel Quallen hat zum Baden. Immer gibt es was zu meckern! Trotzdem ein Premium-Liegeplatz.

Schärenidyll
Schärenidyll
diese Schäre war etwas zu klein für ausgedehnte Wanderungen
diese Schäre war etwas zu klein für ausgedehnte Wanderungen
gut abgefendert
gut abgefendert

Die Bewohner felsiger Küsten sagen, daß es nur zwei Sorten von Leuten gibt. Diejenigen, die behaupten, noch nie auf einen Felsen gebrummt zu sein und die Ehrlichen. Seit dem Morgen nach dieser Nacht zählen wir jetzt auch zu den Ehrlichen. Ich habe beim Losfahren von der Schäre die Betonnung verwechselt und bin auf der falschen Seite der einzigen roten Tonne dort vorbeigefahren. Da ich mir nicht ganz sicher war, bin ich super langsam gefahren, nur etwas über 3 Knoten, aber es hat trotzdem ordentlich gekracht. Bei Felsen wie hier läuft man nicht auf sondern man donnert dagegen und prallt wieder ab. Es ist keine Frage, ob man wieder freikommt. Man ist sofort wieder frei und fängt an abzutreiben. Emma, die, wie immer, wenn wir durch schöne Natur fahren, unter Deck Mediathek-Folgen gesehen hat, ist vom Stuhl gefallen. Birgit dachte, wir würden gleich sinken. Aber ich war eigentlich erleichtert, denn es war ja klar, daß es irgendwann passieren mußte und besser so als mit voller Rumpfgeschwindigkeit. Die Kräfte, die auf die Kiel-Rumpfverbindung wirken, sind dann viele Mal so hoch wie bei 3 Knoten und bei Plastikbooten wird es dann ernst. So habe ich aber noch etwas mehr Vertrauen zu unserem Boot gewonnen und werde im Winterlager wohl nur etwas spachteln müssen.
Da wir das jetzt abgehakt haben, kann es weitergehen auf der Liste der Bootsunfälle. Als nächstes käme dann unfreiwillig Trockenfallen. Weiter hinten dann die Königsklasse: ein Knock-Down (das Boot schlägt quer vor einer gewaltigen brechenden See und der Mast schlägt ins Wasser oder wird untergetaucht). Darf aber gerne noch eine Weile dauern. Auch das Trockenfallen.

Nach einigen Meilen Kriechfahrt, wo wir uns mit manchmal 2 Metern Abstand an Steinen vorbeiquetschen, geht es in den Kalmarsund zwischen Öland und dem schwedischen Festland. Frischer Wind genau von vorn. Ziemlich frischer Wind und die See baut sich auf. Es geht langsam und es sind noch einige Meilen bis Kalmar. Erst setze ich das Groß dazu und falle dann etwas ab und kreuze mit Motorunterstützung, kleinem Vorsegel und Groß. Ein anderes Boot will in die gleiche Richtung und kreuzt auch. Wir laufen mehr Höhe und sind schneller, aber nur etwas. Es ist eine Baltic Yachts (ein schnelles Boot), sie liegen auf der Backe, die Gischt spritzt und ich sehe schwarze Carbonsegel. Es scheint, sie nehmen nicht den Motor zu Hilfe, so wie wir, und sind trotzdem nur etwas langsamer. Ich habe ein leicht schlechtes Gewissen, möchte aber trotzdem schnell in Kalmar ankommen. Auf dem AIS sehe ich den Namen „Diva“ und sie haben eine deutsche Flagge am Heck. Sie rufen uns über Funk und teilen mit: „wir vermissen den Motorkegel“. Damit sollten wir eigentlich anzeigen, daß unser Motor läuft und wir deshalb nicht als Segelfahrzeug vorfahrtberechtigt sind. Es geht Ihnen aber nicht um Vorfahrt sondern sie wollen nur sticheln, daß wir unfair kämpfen würden. Stimmt. Mir fehlt halt das Kompetitive. Das fängt schon bei Gesellschaftsspielen an. Wenn es mit Motor besser geht als ohne, dann wird gemotorsegelt. Wir haben unser Boot um zu reisen und es geht darum, möglichst angenehm von A nach B zu kommen.

Marina von Kalmar - wir liegen neben unserem ehemaligen Vermieter
Marina von Kalmar – wir liegen neben unserem ehemaligen Vermieter

Der Hafen von Kalmar ist voll. Ich sehe einen Platz mit einer freien Heckboie aber er ist sehr schmal. Egal – bei Heckankern oder Heckboien kann man die Boote meistens etwas auseinanderdrücken und sich hineindrängeln. Genau betrachtet sind Heckboien eigentlich besser als die in Deutschland und Dänemark verbreiteten Heckdalben. Auch hier funktioniert es. Einer der beiden Nachbarn nimmt unsere Leinen an und es stellt sich heraus, daß es unser früherer Vermieter ist, der seinen Ruhestand mit seiner Frau auf der Ostsee verbringt.

nettes Café in alter Holzvilla in Kalmar
nettes Café in alter Holzvilla in Kalmar

In Kalmar endet an diesem Abend die ARC Baltic und außerdem ist eine große Iron Man-Veranstaltung in Gang. Die ARC Baltic ist eine organisierte Rally um die Ostsee auf einer ähnlichen Route wie wir aber mit Sankt Petersburg und in nur 6 Wochen. Diva war eines der 24 teilnehmenden Boote. Sie und die anderen liegen zusammen im äußeren Teil des Yachthafens. Die Laufstrecke führt durch die Altstadt. Obwohl die Veranstaltung in den letzten Zügen liegt, ist noch alles voller Menschen. Wir müssen uns durchdrängeln und jubeln den letzten Teilnehmern zu, die mehr gehend als laufend vorbeikommen.

Schloß von Kalmar
Schloß von Kalmar
große Tafel aus Plastikessen
große Tafel aus Plastikessen
Thron
Thron
Kapelle im Schloß
Kapelle im Schloß

Nach einem Hafentag mit Einkäufen und Schloßbesichtigung und einer zweiten Nacht geht es am späten Nachmittag weiter. Es fühlt sich jetzt schon stark nach „nach Hause fahren“ an.

Sonnenuntergang auf dem Weg nach Süden aus dem Kalmarsund
Sonnenuntergang auf dem Weg nach Süden aus dem Kalmarsund

Zunächst motoren wir bei Windstille im Kalmarsund nach Süden. Gegen Mitternacht soll es Wind geben, aber eher schwach, so daß es nichts machen dürfte, daß es hoch am Wind ist. Der Wind kommt auch, pünktlich, als wir bei Utklippan – einer der letzten schwedischen Schäreninseln – abbiegen, um die Hanöbucht zu überqueren. Er baut sich aber schnell viel stärker auf als angesagt. Nach einer Weile sind es 20 Knoten wahrer Wind, im Laufe der Nacht sehe ich bis 27, statt der angesagten 9. Für komfortables Segeln hoch am Wind ist das viel zu viel. Wir krachen hart in die Wellen und haben so noch 60 Meilen vor uns. Es wird die zweite unangenehme Nachtfahrt auf dieser Reise und wir sind müde und erschöpft, als wir morgends um 9 in Skillinge auf der Westseite der Hanöbucht einen eigentlich nicht geplanten Zwischenstop einlegen. Emma hat zwar geschlafen, aber sehr unruhig. Dabei sind wir prima vorangekommen, immer zwischen 6 und 7 Knoten. Auch bei uns ist es so: das Boot kann mehr ab als die Mannschaft.

Am Nachmittag, als wir ausgeschlafen haben, kommt ein englisches Boot längseits. „Trenelly“ hat auch an der ARC Baltic teilgenommen. Sie waren mit dem Boot in Sankt Petersburg gewesen. Auf der Hinfahrt dorthin gab es seltenen Ostwind, also gegenan, und auf der Rückfahrt gab es den üblichen Westwind, also gegenan. Sie mußten viele Stunden vor dem Einklarierungshafen Kronstadt warten, auf einer Reede (Ankergebiet), wo es aber 30 Meter tief war und wo deshalb nur große Schiffe ankern können, weil die Einklarierungsbeamten mit den 24 Booten der ARC Baltic überlastet waren. Die Marina von Sankt Petersburg liegt in einem Fluß mit zwei Knoten Strom, der quer zum Liegeplatz setzt, und wegen dem es große Schwierigkeiten gab beim Anlegen mit Heckboien. Sie meinen, das mit dem Bus wäre eine gute Idee gewesen.
Beim überqueren der Hanöbucht hatten sie aber die bessere Idee. Sie haben die Nacht vor Anker hinter eine Schäre bei Utklippan verbracht und sind tagsüber bei erheblich angenehmeren Bedingungen über die Hanöbucht gekommen.
Ich erfahre von Helen und Robert auch viel über ihr Heimatgewässer, die schottische und irische See, und bekomme ein Magazin „Sail Scotland“ geschenkt. Da würde ich gern hin auf unserer nächsten langen Sommerreise, die es hoffentlich geben wird in ein paar Jahren.

wer rät, mit wem es zu einer knappen Begegnung kommt?
wer rät, mit wem es zu einer knappen Begegnung kommt?
mit Trans Fjell
mit Trans Fjell

Am nächsten Tag geht es tagsüber bei überwiegend leichtem Wind segelnd und motorsegelnd nach Klintholm auf der dänischen Insel Møn (die mit den Kreidefelsen).

Sonnenuntergang; Møn am Horizont
Sonnenuntergang; Møn am Horizont
wir nähern uns Klintholm
wir nähern uns Klintholm

Wir kommen spät Abends in totaler Finsternis an. Das mit den hellen Nächten ist sowas von vorbei. Auf dem Radar sehe ich vor dem Hafen ein kleines Angelboot auf unserem Kurs, das wir sonst wohl übersehen hätten. Dann gibt es noch ein anderes, kräftiges Ziel auf dem Radar, genau zwischen uns und der Hafeneinfahrt, das wir partout nicht sehen können. Als wir drauf zufahren verschwindet es. Eine Menge Mövengeschrei und viele Vögel um uns herum sagen mir, daß das Echo ein Mövenschwarm auf dem Wasser gewesen ist. Auch im Hafenbecken ist es verdammt dunkel. Unbeleuchtete Dalben stehen mitten drin herum. Ohne den Kartenplotter hätten wir kaum in das hinterste Becken gefunden, wo es einen freien Platz gibt.

Møns Klint
Møns Klint

Wir sind jetzt schon recht nah der Heimat, zwei Drittel der Strecke von Kalmar, gegen den vorherrschenden Westwind. Die nächsten beiden Tage bringen aber kräftigen Westwind. Der Stop Klintholm ist eine Wette darauf, daß sich diese Bedingungen nochmal ändern bevor uns die Zeit ausgeht. Gibt es kein Wetterfenster mehr, wäre Rügen ein besserer Stop gewesen, weil man von dort leichter mit der Bahn nach Hamburg gekommen wäre zu Emmas erstem Schultag nach den Sommerferien. Aber es paßt. In der dritten Nacht ist eine Pause im Westwind angesagt, lang genug, um bis Kiel zu kommen. In der Abenddämmerung machen wir das Boot klar und es geht auf zu unserem letzten Overnighter auf dieser Reise.

Sonnenuntergang über Falster auf dem Weg nach Kiel
Sonnenuntergang über Falster auf dem Weg nach Kiel

Das erste Stück ist angenehmes segeln im Dämmerlicht. Um 2 Uhr morgends runden wir motorsegelnd das Gedser Landrev (Warum ist die wichtige Tonne hier eigentlich nicht beleuchtet? Ich muß sie auf dem Radar suchen.) und ab hier ist es motoren bei Flaute. Birgit übernimmt und quert auch das Verkehrstrennungsgebiet vor Fehmarn allein. Ich kann ausschlafen und bin erst wieder dran, als wir die Fährstrecke Puttgarden-Rödby passiert haben.

Sonnenaufgang im Fehmarn Belt
Sonnenaufgang im Fehmarn Belt
die letzten Stunden auf See - alle Gastlandflaggen werden zusammengebunden
die letzten Stunden auf See – alle Gastlandflaggen werden zusammengebunden

Am frühen Nachmittag sind wir in Kiel Düsternbrook und machen provisorisch vor dem Gebäude des Hafenmeisters fest.

Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Åland, Schweden
Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Åland, Schweden

 

Der Hafenmeister, den ich seit 10 Jahren kenne, begrüßt mich mit seinem trockenen Humor: „Herr Dürr, sie sind ja immer noch da.“
„Wieder da.“ sage ich.

„Waren sie in all diesen Ländern?“ fragt er und zeigt auf die Reihe der Gastlandflaggen unter unserer Steuerbordsaling.
„Ja.“ sage ich.

Tschüß Kiel – es war schön bei Dir

 

vor dem altehrwürdigen Kieler Yacht Club
vor dem altehrwürdigen Kieler Yacht Club

In Kiel liegen wir in Düsternbrook im sogenannten Millionärsbecken – in unserem Fall trifft das leider nicht zu, aber wir waren schon oft hier und es gefällt uns. Der Hafenmeister begrüßt mich mit Namen und wir bekommen eine Menge Besuch. Ich hole das Auto aus Hamburg und mache mich an die Liste der Erledigungen. Morgends, eher spät-morgends, gibt es wochentags immer Unterricht. Danach Erledigungen. Beziehungsweise Werkunterricht.

Früher mußte ich mir von der Werft zwei Leitern holen und zu einer wackeligen Konstruktion zusammenbinden - jetzt brauche ich nur Emma
Früher mußte ich mir von der Werft zwei Leitern holen und zu einer wackeligen Konstruktion zusammenbinden – jetzt brauche ich nur Emma
Emma the rigger
Emma the rigger

 

Dem Mathematiklehrer...
Dem Mathematiklehrer…
wurde von seiner Schülerin ein Streich gespielt
wurde von seiner Schülerin ein Streich gespielt

Eines morgens bekomme ich eine Mail von Marinetraffic, daß „Constance“ in Brunsbüttel angekommen ist. Das ist das Boot von Tom und Ros Cunliffe, englischen Segelautoren, die wir auf unserer Reise 2013 in Cuxhaven kennengelernt haben und die uns den „Overnighter“ beigebracht haben – einen über-Nacht-Schlag, bei dem man einen Tag, die Nacht und den folgenden Tag oder einen Teil davon unterwegs ist. Weil man dabei keine Zeit verliert mit in den Hafen fahren, aus dem Hafen fahren und tausend Kleinigkeiten, kommt man viel weiter als bei Tagesschlägen. Wer weiß, wie unsere Reise damals verlaufen wäre, wenn wir den riesigen Unterschied nicht gleich ganz zu Anfang gezeigt bekommen hätten.

Wenn man in Brunsbüttel ist, fährt man wohl in den Kanal und kommt am anderen Ende in Kiel heraus. So ein netter Zufall. Ich simse ihnen. Sie wollen am nächsten Tag gleich nach Heiligenhafen weiter und wir verabreden uns deshalb dort. Sie sind extrem erfahrene Segler aber vor allem auch sehr nette Leute und wir verbringen einen schönen Abend bei Ihnen an Bord. Emma lernt von Ros Drachen aus Papier zu falten, die sich jetzt bei uns an Bord vermehren wie die Tribbles von Star Trek. Sie bekommt für diesen Abend eine Englischstunde gutgeschrieben, weil sie diesmal, anders als 2013, dem Gespräch lauscht und laufend „was heißt…?“ fragt.

Invasion of the Dragons
Invasion of the Dragons

Heute schließlich, nachdem die Liste beinahe ganz fast völlig erledigt ist und wir noch ein Tiefdruckgebiet abgewartet haben, bin ich ein letztes Mal nach Hamburg gefahren, habe das Auto abgestellt, die Batterie abgeklemmt, die letzten vergessenen Sachen mitgenommen, die Schlüssel beim Nachbarn abgegeben und bin mit der Bahn zurück nach Kiel gefahren. Denn der Plan ist, daß es morgen nach Bornholm losgehen soll.

Ob was draus wurde könnt Ihr bald hier lesen. Denn beim Fahrtensegeln gilt im Besonderen, daß Pläne dazu da sind, geändert zu werden.

Schlüsselbund fast leer
Schlüsselbund fast leer

Losgefahren

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Glückstadt bei der Abfahrt

Obwohl es zuletzt kaum noch so aussah, sind wir tatsächlich losgefahren. Allerdings bisher nur ein Stück die Elbe hoch und durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel. Vorher wurde noch eingekauft.

Proviantieren
Proviantieren
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Die Werft ist kein Kinderspielplatz!

Als Mann bin ich zwar nicht sicher aber das Hinter-sich-lassen der Welt in der Winterlagerhalle und der Wechsel in den „schwimmt“-Zustand kommt mir jedes Mal wie eine Geburt vor. Zwar liegt überall noch Werkzeug herum und die restlichen Arbeiten starren einen aus jeder Ecke an, aber das Boot bewegt sich sanft im Wasser und alles ist anders – das Blut fließt plötzlich andersherum durchs Herz.

Und dann öffnete sich das Tor und entließ uns in die große weite Welt.

Hinaus in die weite Welt
Hinaus in die weite Welt

Danach kam ein Stück Elbe und, wie schon so oft vorher, der Nord-Ostsee-Kanal.

Schleuse Brunsbüttel für uns ganz allein und ohne Warten
Schleuse Brunsbüttel für uns ganz allein und ohne Warten

Weil wir ab jetzt Lehrer sind, wurde im Kanal erstmal ein Stundenplan geschrieben. Und eine Regel aufgestellt: jede Minute, die die Schülerin diskutiert, ob es nun gemacht werden soll oder nicht, wird doppelt an die Schulzeit angehängt!

Stundenplan schreiben
Stundenplan schreiben

Seit Dienstag 30.5. liegen wir nun in Kiel und erledigen die Erledigungen, für die im letzten halben Jahr keine Zeit war. Das hätten wir zwar auch in Glückstadt machen können, aber für mich ist es ein wichtiger psychologischer Unterschied:

Wir sind offiziell losgefahren und nicht mehr zu Hause.

Julies Abenteuer jetzt im Internet

Hallo,

nach kaum 5 Jahren der Vorbereitung (lies: Verspätung) gibt es jetzt einen Blog von Julie. Julie heißt unser Boot, ein sogenanntes „Average White Boat“ (AWB), gebaut 1998 von Jeanneau, das Birgit und mir seit 2006 gehört. Für Emma, 9 Jahre, war es schon immer da.

„Julie“ heißen aber auch wir, Birgit, Emma und Henning, zumindest, wenn wir auf dem Boot leben und unterwegs sind. Das ist nämlich so bei Langfahrtseglern: man benennt eine andere Familie nach deren Bootsnamen, nicht nach dem Familiennamen.

Langfahrtsegler sind wir seit 2013, als wir bis zu Emmas Einschulung von Hamburg zu den Kanaren und den Azoren und zurück nach Hamburg unterwegs waren. Wir sind dabei nicht untergegangen und waren 2 Tage vor Schulbeginn rechtzeitig zurück. Davon aber vielleicht ein anderes Mal mehr.

Jetzt wollen wir von Juni bis August die östliche Ostsee umsegeln. Wieder müssen wir rechtzeitig zum Schulbeginn zurück sein und wir sind auch wieder verspätet. Aber auch das ist so bei Langfahrtseglern!

Die Julies