In die Dunkelheit

Eine sehr schöne Nachtfahrt mit angenehmem Segeln hat uns nach Visby gebracht. Die Hochgeschwindigkeitsfähre von Nynäshamn nach Visby ist dabei Kreise um uns gefahren. Mit 30 Knoten, weit mehr als nötig ist, um auf den bloßen Füßen Wasserski zu laufen, ist sie uns 3 mal auf der Backbordseite entgegengekommen und hat uns 3 mal auf der Steuerbordseite überholt.

Dom in Visby
Dom in Visby

Egal, denn es gab einen prima Sonnenaufgang über dem Meer. Untergegangen ist die Sonne noch in den südlichen Stockholmer Schären, unangenehm früh, und es war ziemlich dunkel nachts. Von dem hellen Schein im Norden war auch nur noch ein Hauch zu sehen. Das Dunkel des Winters kommt mit Riesenschritten auf uns zu, weil wir gleichzeitig nach Süden fahren und die Tage kürzer werden. Als 2013 die Tage kürzer wurden, standen wir noch am Anfang unserer Reise in den Süden. An den dunkelsten Tagen dieses Winters waren wir in Marokko und Lanzarote. Da hat mich die Dunkelheit nicht gestört. Aber bei einer Reise in den Norden bedeutet Dunkelheit auch das Ende der Saison und Heimkehr.

Visby Marina
Visby Marina

Für mich hilft da nur viele Fotos machen, die ich bei der Arbeit im Dezember, wenn es Nachmittags um fünf schon dunkel ist, bei Schneeregen und Produktionsproblemen betrachten kann. Und Pläne schmieden für den nächsten Sommer! Daß es wieder nach Norden geht, ist für mich eigentlich ohne Alternative. Zum einen wegen der Helligkeit und zum anderen, um dem schlechten Wetter zu entkommen. Vielleicht gibt es auch verregnete und stürmische Sommer in Schweden aber das hatten wir noch nie. Auf dieser Reise gab es nur eine kleine Handvoll trüber Tage. Heulende Böen, 10 Grad Lage im Hafen und waagerecht fliegenden Regen, wie schon öfter Sommers in Dänemark, hatten wir nicht. Unter den 1.000 Fotos dieser Fahrt finde ich nur etwa 10 mit bewölktem Himmel oder Regen. Nun, vielleicht macht man bei Regen weniger Fotos aber ich finde, das sagt trotzdem etwas. Es ist ein Bißchen so, wie damals im Winter auf den Kanaren und Azoren, wo wir fünf Monate so gut wie keinen Regen hatten, so daß Deck und Rigg mit einer dicken roten Staubschicht aus Saharasand überzogen war.
Eine meteorologische Theorie besagt, daß entweder Deutschland oder Skandinavien einen guten Sommer hat, nicht beide gleichzeitig, weil das Azorenhoch, wenn es kräftig ausgebildet ist und weiter nördlich liegt, die auf dem Nordatlantik geborenen Tiefs auf ihrem Weg nach Osten etwas nach Norden schubst. Dann hat Skandinavien Pech und Deutschland Glück. Ist das Azorenhoch schwach und weiter südlich, ziehen die Tiefs über Deutschland hinweg und Skandinavien hat gutes Wetter. Diesen Sommer war es wohl letzteres. Die drei weiteren Male, die wir bisher mit dem Boot in Schweden waren, war auch immer gutes Wetter. Deswegen halten wir es für eine statistisch belegte Tatsache und wollen wieder hin.

Visby ist die Hauptstadt der schwedischen Insel Gotland, mitten in der Ostsee gelegen. Sie hatte ihre Hochzeit im Mittelalter als bedeutende Hansestadt. Wenn fast aller Handel über die See stattfindet, ist eine Insellage kein Hindernis. Die Stadt ist immer noch voller mittelalterlicher Gebäude und die Stadtmauer fast vollständig erhalten.

Villa Villekulla
Villa Villekulla

Es ist aber ein anderes historisches Gebäude, das Emma viel mehr interessiert: die original Villa Kunterbunt (Villa Villekulla auf schwedisch). Original deshalb, weil die Pippi Langstrumpf-Filme hier gedreht wurden. Die ehemalige Filmkulisse steht jetzt in einem Vergnügungspark, der Birgit und Emma besser gefallen hat, als das Legoland in Billund.

Pippis Pferd
Pippis Pferd

Er liegt etwas außerhalb der Stadt und für den Transport haben wir einen prima Service der Marina von Visby genutzt: das „Free Car“ – ein abgehalfterter aber fahrtüchtiger Skoda, den jeder Marinagast einfach nehmen kann, wenn er vorher seinen Namen auf eine Liste schreibt. Der Mietvorgang ist sogar noch etwas einfacher als in Las Palmas: man nimmt den Schlüssel von einem Haken an der Wand, steigt ein und fährt los. Wenn man zurück ist, hängt man den Schlüssel wieder an den Haken und wirft etwas Benzingeld in eine Box – wenn man will, kontrolliert wird es nicht. Jeder darf nur eine Stunde pro Tag unterwegs sein, aber weil wenig los war, durfte ich das Auto zweimal haben, um Birgit und Emma zum Park zu fahren und wieder abzuholen.

Tschüß Visby
Tschüß Visby
Leuchtturm Lange Erik an Ölands Nordspitze
Leuchtturm Lange Erik an Ölands Nordspitze

Der nächste Stop ist Öland, die andere große schwedische Insel. Ö-land heißt – etwas phantasielos – „Inselland“. Schräg gegenüber, zu Estland gehörend, liegt Saaremaa und dieser Name, Niels aus Stockholm hat mich darauf aufmerksam gemacht, heißt genau das gleiche auf Estnisch. Saare=Insel, Maa=Land.
Auf dem schwedischen Inselland machen wir aber nur ein paar Schritte – auf einer häßlichen Betonbrücke in der ansonsten idyllischen kreisrunden Bucht an ihrer Nordspitze, wo wir eine Nacht verbringen.

Wir nähern uns der Schäre
Wir nähern uns der Schäre

Danach kommt eine Nacht an einer Schäre, von denen es weniger gab als gehofft auf dieser Reise, diesmal sogar längseits dran liegen. Das Fahrwasser dahin ist extrem eng und voller Steine. Sehr anstrengend, aber der Platz ist es wert – finde ich. Emma findet die Insel zu klein für Exkursionen und daß das Wasser zu viel Quallen hat zum Baden. Immer gibt es was zu meckern! Trotzdem ein Premium-Liegeplatz.

Schärenidyll
Schärenidyll
diese Schäre war etwas zu klein für ausgedehnte Wanderungen
diese Schäre war etwas zu klein für ausgedehnte Wanderungen
gut abgefendert
gut abgefendert

Die Bewohner felsiger Küsten sagen, daß es nur zwei Sorten von Leuten gibt. Diejenigen, die behaupten, noch nie auf einen Felsen gebrummt zu sein und die Ehrlichen. Seit dem Morgen nach dieser Nacht zählen wir jetzt auch zu den Ehrlichen. Ich habe beim Losfahren von der Schäre die Betonnung verwechselt und bin auf der falschen Seite der einzigen roten Tonne dort vorbeigefahren. Da ich mir nicht ganz sicher war, bin ich super langsam gefahren, nur etwas über 3 Knoten, aber es hat trotzdem ordentlich gekracht. Bei Felsen wie hier läuft man nicht auf sondern man donnert dagegen und prallt wieder ab. Es ist keine Frage, ob man wieder freikommt. Man ist sofort wieder frei und fängt an abzutreiben. Emma, die, wie immer, wenn wir durch schöne Natur fahren, unter Deck Mediathek-Folgen gesehen hat, ist vom Stuhl gefallen. Birgit dachte, wir würden gleich sinken. Aber ich war eigentlich erleichtert, denn es war ja klar, daß es irgendwann passieren mußte und besser so als mit voller Rumpfgeschwindigkeit. Die Kräfte, die auf die Kiel-Rumpfverbindung wirken, sind dann viele Mal so hoch wie bei 3 Knoten und bei Plastikbooten wird es dann ernst. So habe ich aber noch etwas mehr Vertrauen zu unserem Boot gewonnen und werde im Winterlager wohl nur etwas spachteln müssen.
Da wir das jetzt abgehakt haben, kann es weitergehen auf der Liste der Bootsunfälle. Als nächstes käme dann unfreiwillig Trockenfallen. Weiter hinten dann die Königsklasse: ein Knock-Down (das Boot schlägt quer vor einer gewaltigen brechenden See und der Mast schlägt ins Wasser oder wird untergetaucht). Darf aber gerne noch eine Weile dauern. Auch das Trockenfallen.

Nach einigen Meilen Kriechfahrt, wo wir uns mit manchmal 2 Metern Abstand an Steinen vorbeiquetschen, geht es in den Kalmarsund zwischen Öland und dem schwedischen Festland. Frischer Wind genau von vorn. Ziemlich frischer Wind und die See baut sich auf. Es geht langsam und es sind noch einige Meilen bis Kalmar. Erst setze ich das Groß dazu und falle dann etwas ab und kreuze mit Motorunterstützung, kleinem Vorsegel und Groß. Ein anderes Boot will in die gleiche Richtung und kreuzt auch. Wir laufen mehr Höhe und sind schneller, aber nur etwas. Es ist eine Baltic Yachts (ein schnelles Boot), sie liegen auf der Backe, die Gischt spritzt und ich sehe schwarze Carbonsegel. Es scheint, sie nehmen nicht den Motor zu Hilfe, so wie wir, und sind trotzdem nur etwas langsamer. Ich habe ein leicht schlechtes Gewissen, möchte aber trotzdem schnell in Kalmar ankommen. Auf dem AIS sehe ich den Namen „Diva“ und sie haben eine deutsche Flagge am Heck. Sie rufen uns über Funk und teilen mit: „wir vermissen den Motorkegel“. Damit sollten wir eigentlich anzeigen, daß unser Motor läuft und wir deshalb nicht als Segelfahrzeug vorfahrtberechtigt sind. Es geht Ihnen aber nicht um Vorfahrt sondern sie wollen nur sticheln, daß wir unfair kämpfen würden. Stimmt. Mir fehlt halt das Kompetitive. Das fängt schon bei Gesellschaftsspielen an. Wenn es mit Motor besser geht als ohne, dann wird gemotorsegelt. Wir haben unser Boot um zu reisen und es geht darum, möglichst angenehm von A nach B zu kommen.

Marina von Kalmar - wir liegen neben unserem ehemaligen Vermieter
Marina von Kalmar – wir liegen neben unserem ehemaligen Vermieter

Der Hafen von Kalmar ist voll. Ich sehe einen Platz mit einer freien Heckboie aber er ist sehr schmal. Egal – bei Heckankern oder Heckboien kann man die Boote meistens etwas auseinanderdrücken und sich hineindrängeln. Genau betrachtet sind Heckboien eigentlich besser als die in Deutschland und Dänemark verbreiteten Heckdalben. Auch hier funktioniert es. Einer der beiden Nachbarn nimmt unsere Leinen an und es stellt sich heraus, daß es unser früherer Vermieter ist, der seinen Ruhestand mit seiner Frau auf der Ostsee verbringt.

nettes Café in alter Holzvilla in Kalmar
nettes Café in alter Holzvilla in Kalmar

In Kalmar endet an diesem Abend die ARC Baltic und außerdem ist eine große Iron Man-Veranstaltung in Gang. Die ARC Baltic ist eine organisierte Rally um die Ostsee auf einer ähnlichen Route wie wir aber mit Sankt Petersburg und in nur 6 Wochen. Diva war eines der 24 teilnehmenden Boote. Sie und die anderen liegen zusammen im äußeren Teil des Yachthafens. Die Laufstrecke führt durch die Altstadt. Obwohl die Veranstaltung in den letzten Zügen liegt, ist noch alles voller Menschen. Wir müssen uns durchdrängeln und jubeln den letzten Teilnehmern zu, die mehr gehend als laufend vorbeikommen.

Schloß von Kalmar
Schloß von Kalmar
große Tafel aus Plastikessen
große Tafel aus Plastikessen
Thron
Thron
Kapelle im Schloß
Kapelle im Schloß

Nach einem Hafentag mit Einkäufen und Schloßbesichtigung und einer zweiten Nacht geht es am späten Nachmittag weiter. Es fühlt sich jetzt schon stark nach „nach Hause fahren“ an.

Sonnenuntergang auf dem Weg nach Süden aus dem Kalmarsund
Sonnenuntergang auf dem Weg nach Süden aus dem Kalmarsund

Zunächst motoren wir bei Windstille im Kalmarsund nach Süden. Gegen Mitternacht soll es Wind geben, aber eher schwach, so daß es nichts machen dürfte, daß es hoch am Wind ist. Der Wind kommt auch, pünktlich, als wir bei Utklippan – einer der letzten schwedischen Schäreninseln – abbiegen, um die Hanöbucht zu überqueren. Er baut sich aber schnell viel stärker auf als angesagt. Nach einer Weile sind es 20 Knoten wahrer Wind, im Laufe der Nacht sehe ich bis 27, statt der angesagten 9. Für komfortables Segeln hoch am Wind ist das viel zu viel. Wir krachen hart in die Wellen und haben so noch 60 Meilen vor uns. Es wird die zweite unangenehme Nachtfahrt auf dieser Reise und wir sind müde und erschöpft, als wir morgends um 9 in Skillinge auf der Westseite der Hanöbucht einen eigentlich nicht geplanten Zwischenstop einlegen. Emma hat zwar geschlafen, aber sehr unruhig. Dabei sind wir prima vorangekommen, immer zwischen 6 und 7 Knoten. Auch bei uns ist es so: das Boot kann mehr ab als die Mannschaft.

Am Nachmittag, als wir ausgeschlafen haben, kommt ein englisches Boot längseits. „Trenelly“ hat auch an der ARC Baltic teilgenommen. Sie waren mit dem Boot in Sankt Petersburg gewesen. Auf der Hinfahrt dorthin gab es seltenen Ostwind, also gegenan, und auf der Rückfahrt gab es den üblichen Westwind, also gegenan. Sie mußten viele Stunden vor dem Einklarierungshafen Kronstadt warten, auf einer Reede (Ankergebiet), wo es aber 30 Meter tief war und wo deshalb nur große Schiffe ankern können, weil die Einklarierungsbeamten mit den 24 Booten der ARC Baltic überlastet waren. Die Marina von Sankt Petersburg liegt in einem Fluß mit zwei Knoten Strom, der quer zum Liegeplatz setzt, und wegen dem es große Schwierigkeiten gab beim Anlegen mit Heckboien. Sie meinen, das mit dem Bus wäre eine gute Idee gewesen.
Beim überqueren der Hanöbucht hatten sie aber die bessere Idee. Sie haben die Nacht vor Anker hinter eine Schäre bei Utklippan verbracht und sind tagsüber bei erheblich angenehmeren Bedingungen über die Hanöbucht gekommen.
Ich erfahre von Helen und Robert auch viel über ihr Heimatgewässer, die schottische und irische See, und bekomme ein Magazin „Sail Scotland“ geschenkt. Da würde ich gern hin auf unserer nächsten langen Sommerreise, die es hoffentlich geben wird in ein paar Jahren.

wer rät, mit wem es zu einer knappen Begegnung kommt?
wer rät, mit wem es zu einer knappen Begegnung kommt?
mit Trans Fjell
mit Trans Fjell

Am nächsten Tag geht es tagsüber bei überwiegend leichtem Wind segelnd und motorsegelnd nach Klintholm auf der dänischen Insel Møn (die mit den Kreidefelsen).

Sonnenuntergang; Møn am Horizont
Sonnenuntergang; Møn am Horizont
wir nähern uns Klintholm
wir nähern uns Klintholm

Wir kommen spät Abends in totaler Finsternis an. Das mit den hellen Nächten ist sowas von vorbei. Auf dem Radar sehe ich vor dem Hafen ein kleines Angelboot auf unserem Kurs, das wir sonst wohl übersehen hätten. Dann gibt es noch ein anderes, kräftiges Ziel auf dem Radar, genau zwischen uns und der Hafeneinfahrt, das wir partout nicht sehen können. Als wir drauf zufahren verschwindet es. Eine Menge Mövengeschrei und viele Vögel um uns herum sagen mir, daß das Echo ein Mövenschwarm auf dem Wasser gewesen ist. Auch im Hafenbecken ist es verdammt dunkel. Unbeleuchtete Dalben stehen mitten drin herum. Ohne den Kartenplotter hätten wir kaum in das hinterste Becken gefunden, wo es einen freien Platz gibt.

Møns Klint
Møns Klint

Wir sind jetzt schon recht nah der Heimat, zwei Drittel der Strecke von Kalmar, gegen den vorherrschenden Westwind. Die nächsten beiden Tage bringen aber kräftigen Westwind. Der Stop Klintholm ist eine Wette darauf, daß sich diese Bedingungen nochmal ändern bevor uns die Zeit ausgeht. Gibt es kein Wetterfenster mehr, wäre Rügen ein besserer Stop gewesen, weil man von dort leichter mit der Bahn nach Hamburg gekommen wäre zu Emmas erstem Schultag nach den Sommerferien. Aber es paßt. In der dritten Nacht ist eine Pause im Westwind angesagt, lang genug, um bis Kiel zu kommen. In der Abenddämmerung machen wir das Boot klar und es geht auf zu unserem letzten Overnighter auf dieser Reise.

Sonnenuntergang über Falster auf dem Weg nach Kiel
Sonnenuntergang über Falster auf dem Weg nach Kiel

Das erste Stück ist angenehmes segeln im Dämmerlicht. Um 2 Uhr morgends runden wir motorsegelnd das Gedser Landrev (Warum ist die wichtige Tonne hier eigentlich nicht beleuchtet? Ich muß sie auf dem Radar suchen.) und ab hier ist es motoren bei Flaute. Birgit übernimmt und quert auch das Verkehrstrennungsgebiet vor Fehmarn allein. Ich kann ausschlafen und bin erst wieder dran, als wir die Fährstrecke Puttgarden-Rödby passiert haben.

Sonnenaufgang im Fehmarn Belt
Sonnenaufgang im Fehmarn Belt
die letzten Stunden auf See - alle Gastlandflaggen werden zusammengebunden
die letzten Stunden auf See – alle Gastlandflaggen werden zusammengebunden

Am frühen Nachmittag sind wir in Kiel Düsternbrook und machen provisorisch vor dem Gebäude des Hafenmeisters fest.

Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Åland, Schweden
Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Åland, Schweden

 

Der Hafenmeister, den ich seit 10 Jahren kenne, begrüßt mich mit seinem trockenen Humor: „Herr Dürr, sie sind ja immer noch da.“
„Wieder da.“ sage ich.

„Waren sie in all diesen Ländern?“ fragt er und zeigt auf die Reihe der Gastlandflaggen unter unserer Steuerbordsaling.
„Ja.“ sage ich.

Frühlingsinseln

Von Rödhamn aus überqueren wir das Åland Hav, das Stück Zugang zum Bottnischen Meerbusen, der nicht durch die Åland Inseln versperrt ist, und landen zunächst auf der Insel Blidö mitten im Stockholmer Schärengarten für einen letzten Abend mit unseren deutsch-schwedischen Freunden.

Stemmarsund zwischen Yxlan und Blidö
Stemmarsund zwischen Yxlan und Blidö
Anleger Blidö im Abendlicht
Anleger Blidö im Abendlicht
Unsere deutsch-schwedischen Freunde verlassen uns
Unsere deutsch-schwedischen Freunde verlassen uns

Die Schären liegen hier dicht zusammen und sind immer stärker bevölkert je mehr wir uns der Großstadt nähern. Man kann hier nicht einfach den Autopilot anstellen, eine Zeitung lesen und alle viertel Stunde nach dem Rechten sehen. Es ist fast wie Autobahnfahren und nach 30 Meilen hat man genug für den Tag.

typisches Bild der Stockholmer Schären, das so endlos weitergeht in alle Richtungen
typisches Bild der Stockholmer Schären, das so endlos weitergeht in alle Richtungen

Dafür gibt es aber laufend was zu sehen. Es ist eine Mischung aus Vorstadt und Naherholungsgebiet. Das Wasser zwischen den Inseln bietet zwar eine besondere Atmospäre, ist aber ansonsten ein Hindernis, das überwunden werden muß –

schnelle Fähre - ein- und aussteigen über den Bug während die Fähre gegen den Anleger drückt
schnelle Fähre – ein- und aussteigen über den Bug während die Fähre gegen den Anleger drückt

mit verschiedensten öffentlichen Fähren und mit unzählingen kleineren Motorbooten, meist mit Außenbordmotor. Auf den Bootsausstellungen habe ich mich immer gefragt, wer hundert Variationen von 4, 5 und 6 Meter langen Motorbooten mit Außenbordmotor braucht – jetzt weiß ich es: es sind die Zweitwagen der Bewohner aller dieser Inseln. Viele von Ihnen können scheinbar dem Bootfahren überhaupt nichts abgewinnen. Es ist halt nur der einzige Weg, zu ihrem Wochenendhaus zu kommen.

Bilderbuch-Schäre
Bilderbuch-Schäre
und noch eine
und noch eine

In einem Prospekt über den Stockholmer Schärengarten lese ich den Ratschlag, ausländische Freunde oder Geschäftspartner unbedingt zu einer Rundfahrt durch den Schärengarten einzuladen. „They have never seen anything like it.“ Stimmt – ich auch nicht. Letzten Sommer in den westschwedischen Schären bei Göteborg schon ein bißchen, aber nicht so wie hier. Dort war es noch Wassersport. Hier ist es Vorstadtleben.

wir nähern uns Vaxholm, einer Festung, die in vergangenen Zeiten den einzigen tiefen Zugang nach Stockholm gesichert hat
wir nähern uns Vaxholm, einer Festung, die in vergangenen Zeiten den einzigen tiefen Zugang nach Stockholm gesichert hat
die alte Berlin, den Rettungskreuzer aus Laboe, bekannt auch aus dem Fernsehen, hat es nach Vaxholm verschlagen
die alte Berlin, den Rettungskreuzer aus Laboe, bekannt auch aus dem Fernsehen, hat es nach Vaxholm verschlagen
typische alte Schären-Fähre, die es so noch zig fach gibt
typische alte Schären-Fähre, die es so noch zig fach gibt
mit denen muß man sich das Fahrwasser teilen
mit denen muß man sich das Fahrwasser teilen

Wenn man ein paar Stunden drin herumgefahren ist, bekommt man den Eindruck, ganz Schweden bestünde nur aus Inseln aller Größen und jede Art von Transport müßte über das Wasser erfolgen.

Schären-Lieferwagen
Schären-Lieferwagen

Es gibt pontonartige Lieferboote, die man gegen die Schäre fahren kann und die mit einem hydraulischen Arm Lasten drauf absetzen können. Bauunternehmen fahren damit zu ihren Inselbaustellen.

Supermarkt-Lieferservice
Supermarkt-Lieferservice

Es gibt Supermarkt Lieferservice als rasendes RIB mit Doppel-Außenbordmotor. Restaurants haben Anleger für ihre Kunden. Abendveranstaltungen mit Livemusik finden auf Schiffen statt, während sie durch das Schärenmeer tuckern. Einmal kam uns ein größeres Motorboot entgegen, auf dessen oberem Deck ein 20-köpfiger gemischter Chor probte. Auf unserer Milchverpackung ist nicht etwa eine Kuh, sondern eine Bäuerin vergangener Tage, die Milchkannen in einem Ruderboot von Schäre zu Schäre rudert. Und – als Neuling braucht man eine Weile, bis man es so richtig verstanden hat – die finden das hier alle ganz normal.

Fjäderholmarna Zentrum
Fjäderholmarna Zentrum

Wie man es nicht anders von uns kennt, haben wir uns den örtlichen Gepflogenheiten angepaßt und Stockholm per Dinghy erkundet. Das kam, weil ich keine Lust hatte auf 650 Kronen Liegegeld (~ 60 Euro) pro Nacht in Stockholms Vasahamn, dem traditionellen Liegeplatz für Besucher-Yachten. Das wäre der höchste Preis gewesen, den wir jemals irgendwo bezahlt hätten, ein Dockhafen in London eingeschlossen, und das auch noch für vier Nächte.
Statt dessen haben wir einen Tip von Niels ausprobiert: Fjäderholmarna (Frühlingsinseln). Diese liegen etwa drei Seemeilen vom Zentrum entfernt. Auf der größten davon, Stora Fjäderholm, etwa 400m Durchmesser, betreibt die Kungliga Djurgårdens Förvaltning, also der schwedische Staat, einige Restaurants, Museen, Kunsthandwerk-Werkstätten und einen Brauerei-Pub. Letzterer hat Schilder an der Wand wie
„Beer – because you don’t make friends with salad“
und
„Beer is not the answer. Beer is the question. ‚Yes‘ is the answer.“

Abendruhe auf Fjäderholm
Abendruhe auf Fjäderholm

Außerdem gibt es eine Bootstankstelle und Liegeplätze für etwa 15 Boote, von denen aber nur wenige belegt waren. Alle halbe Stunde bis 23:30h kommt eine Fähre und bringt und holt die Besucher bzw. Gäste. Das ist natürlich alles recht touristisch, aber für uns hat es gut gepaßt. Wir sind Abends über die Insel gelaufen, haben ein Bier getrunken, haben die Kunsthandwerk-Läden besucht (unser Luxus-Budget ist inzwischen massiv überzogen), haben Diesel gebunkert und haben beim Essen im Cockpit dem Treiben um uns herum zugesehen.

diese alte Schären-Fähre hat sogar noch Dampfantrieb - fotografiert aus dem Cockpit am Liegeplatz in Fjäderholm
diese alte Schären-Fähre hat sogar noch Dampfantrieb – fotografiert aus dem Cockpit am Liegeplatz in Fjäderholm

Das Liegegeld wird an der Tankstelle bezahlt und Birgit hat dort auf die 300 Kronen noch einigen Rabatt erhalten, so daß wir über alles bei vielleicht 200 Kronen pro Nacht gelandet sind.

Lagerraum auf Fjäderholm
Lagerraum auf Fjäderholm

Nach den Erkundungen des Tages haben wir uns wieder auf unsere Insel zurückgezogen. Nachdem um halb zwölf die letzte Fähre abgefahren ist, kehrt auf der Insel Ruhe ein. Als hätte man ihn für uns gegraben, gibt es auch einen süßen Kanal für drei Viertel des Weges zwischen der Innenstadt und unserer Insel, durch den wir zweimal täglich mit dem Dinghy getuckert sind.

Stadtrundfahrt diesmal nicht mit Hop-on Hop-off sondern mit dem Dinghy
Stadtrundfahrt diesmal nicht mit Hop-on Hop-off sondern mit dem Dinghy
Stadtrundfahrt: Tivoli
Stadtrundfahrt: Tivoli

Wegen des vielen Wassers überall eignet sich Stockholm auch grundsätzlich sehr gut für eine Besichtigung per Beiboot.

Emma in vergangenen Zeiten
Emma in vergangenen Zeiten
Begegnung mit Touristenbus im Dinghy
Begegnung mit Touristenbus im Dinghy

Für Besuche von Museen, der Gamla Stan oder Bootszubehörläden muß man aber natürlich doch öfter an Land und dann mangelt es leider etwas an Möglichkeiten, das Dinghy zu parken. Da hilft nur frech sein und das sind wir inzwischen geworden, wenigstens in dieser Beziehung.

Dinghy-Parkplatz 1 (Vasahamn)
Dinghy-Parkplatz 1 (Vasahamn)
Stadtrundfahrt: Nordisk Museum und Vasamuseum
Stadtrundfahrt: Nordisk Museum und Vasamuseum
Dinghy-Parkplatz 2 (Palast und Gamla Stan)
Dinghy-Parkplatz 2 (Palast und Gamla Stan)
Dinghy-Parkplatz 3 (Restaurant)
Dinghy-Parkplatz 3 (Restaurant)
zum Vergleich: so sieht ein ordentliches Dinghy-Dock aus (Dartmouth, England)
zum Vergleich: so sieht ein ordentliches Dinghy-Dock aus (Dartmouth, England)

Von den Fjäderholmarna geht es weiter durch den Schärengarten und, nach einem Stop in Dalarö, mit einem Overnighter nach Visby auf der mitten in der Ostsee gelegenen Insel Gotland. Davon mehr beim nächsten Mal.

sehr enge Durchfahrt Richtung Süden mit 2 Knoten Strom
sehr enge Durchfahrt Richtung Süden mit 2 Knoten Strom
Frokost in Dalarö
Frokost in Dalarö
abendlicher Aufbruch Richtung Visby von Dalarö
abendlicher Aufbruch Richtung Visby von Dalarö
Sonnenaufgang auf See Richtung Visby
Sonnenaufgang auf See Richtung Visby