Leben auf der Festung

 

Christiansö im Hintergrund, Frederiksö davor
Christiansö im Hintergrund, Frederiksö davor

12 Seemeilen von Bornholm entfernt liegen ein paar Granitinselchen namens Ertholmene („Erbseninseln“) mitten in der Ostsee. Zwei davon, Christiansö und Frederiksö, bilden zwischen ihnen einen natürlichen Hafen. Das ganze wurde für Jahrhunderte als Festung mit Kanonenbatterien genutzt. Obwohl man Festungen in der Zeit der Interkontinentalraketen nicht mehr braucht, gehören die Inseln immer noch dem dänischen Verteidigungsministerium und wurden nicht in einen Vergnügungspark umgewandelt – ein netter Zug der Dänen.

Hafen im Abendlicht
Hafen im Abendlicht

Es ist Platz für vielleicht 20 Segelboote und außer diesen gibt es nur eine Handvoll Übernachtungsmöglichkeiten, 6 davon in umgebauten Kerkerzellen. Im Sommer kommt zweimal täglich eine Fähre und bringt eine Runde Touristen, die nach 3 Stunden durch die zweite Runde ersetzt wird und ab 16 Uhr ist alles wieder still. Außer der Fähre gibt es noch das Postboot Peter, mit dem Bier und alles weitere herangeschafft wird und mit dem die 90 dauernden Bewohner im Winter zum Zahnarzt fahren können.

Ein alter Marstalschoner führt ein zweites Leben als Postboot
Ein alter Marstalschoner führt ein zweites Leben als Postboot

 

Dienstfahrzeug des Postbeamten
Dienstfahrzeug des Postbeamten

Es gibt keine Kabel nach Bornholm. Strom wird mit Generatoren erzeugt, die Wasserversorgung war früher in Zisternen gesammeltes Regenwasser und ist jetzt mit Meerwasserentsalzung. Für Telefon und Internet gibt es nur das Handynetz von Bornholm, am Horizont zu sehen, aber bestimmt nicht von jeder Stelle der Insel. Einige der Bewohner müssen wohl zum Telefonieren auf den nächsten Hügel steigen und auch an unserem Liegeplatz klappte es nur eben so. Als sich noch jemand neben uns ins Päckchen legt, ist es vorbei mit dem Internet.

Sonne gab es von morgends bis abends aber Wind auch, mehr als genug. Die beiden Nächte, die wir dort verbracht haben, waren unruhig. Es ist ein ständiges Vogelgeschrei von der benachtbarten Schäre Grasholm auf der zigtausende Zugvögel nisten, sagt der Inselprospekt.

Grasholm mit Vogelkolonie
Grasholm mit Vogelkolonie

Am anderen Ende von Christiansö, neben der Schule mit einem Klassenraum und einem Lehrer, gibt es einen Tümpel, aus dem ein großes Froschkonzert klingt.

Für die Bewohner Christiansös und Frederiksös und für uns gibt es einen Köbmand, einen Kiosk, eine Gaestgiveri und einen Möntvask (Münzwäsche).

Köbmand und Gaestgiveri
Köbmand und Gaestgiveri

Letztere, die es dank der neuen Trinkwasserversorgung gibt, ist preiswert und wir machen ausgiebigen Gebrauch.

fast nur unsere Wäsche
fast nur unsere Wäsche

Direkt daneben gibt es eine Wiese mit Wäscheleinen, die ich für einen öffentlichen Trockenplatz halte. Während ich zig Meter Wäsche aufhänge, wie damals in der Waschmittelreklame, kommt jemand und klärt mich auf, daß jede Leine einer anderen Familie gehöre und privat sei. Aber obwohl die Bewohner bestimmt genervt sind, täglich zweimal wie im Zoo betrachtet zu werden, organisiert er das Ganze für mich. Von seiner Leine kann ich die Hälfte benutzen und eine andere ganz, weil diese Familie ausgewandert sei. Dann solle ich noch diese und diese benutzten, denn diese Familien waschen immer früh und da noch nichts da hängt, wird auch nichts mehr kommen.

Der Radlader wurde bestimmt extra für diese Tür ausgewählt
Der Radlader wurde bestimmt extra für diese Tür ausgewählt

Im Inselprospekt lese ich, daß der letzte Fischer die Insel 2013 verlassen hat. Ich sehe aber das Boot des Fischers nicht benutzt doch einsatzbereit direkt neben der Fußgängerbrücke liegen, die Christiansö und Frederiksö verbindet. Das muß wohl so eine Art Stellenanzeige sein.

alte Drehbrücke mit Fischerboot daneben
alte Drehbrücke mit Fischerboot daneben

Vor langer Zeit gab es eine große Seeschlacht um Christiansö. Die englische Marine wollte die Inselfestung einnehmen, weil englische Handelsschiffe in der Ostsee laufend überfallen wurden von vom dänischen König sanktionierten Kaperschiffen, die Christiansö als Basis benutzten. Die Dänen wurden beschossen, konnten sich aber nicht wehren, weil die englischen Kanonen weiter reichten. Zum Glück für die Dänen drehte der Wind und trieb die englischen Schiffe nah genug heran für die dänischen Kanonen.
Wir versuchen, Emma den Krieg zu erklären, soweit man das kann – daß es früher wilde Zeiten waren, in denen sich auch Könige nicht zu fein waren, Piraten zu unterstützen, wenn es ihnen nützte, und daß es solche Dinge auch heute noch gibt an anderen Orten in der Welt. Beim Besuch der Hammerhus Festung auf Bornholm hatten wir ihr schon erklärt, daß Steuern zahlen früher eher zu tun hatte mit Schutzgelderpressung als mit Finanzierung öffentlich bereitzustellender Dienstleistungen wie Schulausbildung (das bringt mich auf eine andere Frage: Kriegen wir jetzt eigentlich Steuern erlassen, wenn wir Emma sieben Wochen lang selbst schulen?).

Christiansö Skole - wir überlegen, Emma dort für einen Vormittag abzugeben
Christiansö Skole – wir überlegen, Emma dort für einen Vormittag abzugeben

Am Abend des dritten Tages und der zweiten Nacht hier machen wir das Boot klar für den nächsten Overnighter. Ich bin nervös wegen des Windes, der schon den ganzen Tag in den Riggs der Boote heult und den Schaumkronen überall auf See. Umso gründlicher bereite ich alles vor und rigge auch den Spinnakerbaum für das Ausbaumen der Genua auf der Seite, auf der wir ihn brauchen werden. Ich halte das Boot in der Mitte des kleinen Hafenkanals – Kreise drehen kann man hier nicht – während Birgit und Emma die Fender wegpacken und dann geht es hinaus in das wilde Gerolle. Emma jammert aber als eine viertel Stunde später die Segel stehen und die Wellen unter dem Boot durchrollen ist die Welt wieder in Ordnung und sie spielt Ratespiele mit Birgit. Auf nach Polen.