Puke-a-thon

Diesen Begriff habe ich auf einer englischen Segelseite entdeckt und er beschreibt sehr gut eine Disziplin, in der es kaum einer der geneigten Leser mit mir aufnehmen kann: Marathon-Kotzen. Auf den Sommertörns der letzten beiden Jahre ist es etwas in Vergessenheit geraten aber jetzt habe ich wieder einmal gezeigt, daß ich über die Jahre nichts verlernt habe.

Anlaß war ein 120sm Schlag von Danzig nach Klaipeda in Litauen.

Klaipeda war mal der Sitz des preußischen Königs
Klaipeda war mal der Sitz des preußischen Königs

Wenn man lange genug schlechte Wettervorhersagen verfolgt(Wettervorhersagen sind für Segler etwa dasselbe wie Aktienkurse für Hobbyinvestoren), dann betrachtet man etwas als Fenster, das man andernfalls als Grund gesehen hätte, liegenzubleiben. So kam es, daß wir aus Danzig ausgelaufen sind mit einer Vorhersage von 20 Knoten in Böen 25 (5 bzw. 6 Beaufort) bei halbem Wind (Windrichtung im rechten Winkel zu unserem Kurs). Dabei hatte ich verdrängt, daß das Tiefdruckgebiet direkt über uns wegziehen würde und deshalb schon eine kleine Änderung der Zugbahn große Auswirkungen auf die Windrichtung haben würde und sich die Vorhersage deshalb auch mehrere Male in Folge erheblich verändert hatte. Tatsächlich hatten wir vorlichen wahren Wind und deshalb noch vorlicheren scheinbaren Wind – so gut wie hoch am Wind. Und es war ein alter Schwell von den vorausgegangenen Starkwind-Tagen übrig, bei dem ich auf Atlantik und nicht auf Ostsee getippt hätte.

Es war also keine schöne Strecke aber irgendwann waren wir trotzdem da und es war ja nun auch keine neue Erfahrung für uns. Emma hat irgendwann zum Glück geschlafen und ich konnte in den Freiwachen schlafen und hatte dadurch Kotzpause. Birgit hat allerdings gar nicht geschlafen. Wegen Sorgen, ich könnte über Bord gegangen sein, wenn eine Weile keine einschlägigen Geräusche von mir zu hören gewesen waren. Ich habe nicht gefragt, ob sie sich um mich sorgte oder nur Angst hatte, sie müßte das Boot unter diesen Umständen allein nach Klaipeda bringen.

Zwar kann man auf unserem Boot kaum beim Übergeben über Bord fallen, denn es gibt einen exzellenten Platz dafür, zwischen zwei V-förmigen Rohren des Bimini-Gestells, aber das half wohl auch nichts. Ich habe ein ingeniöses System für eine Sicherungsleine im Cockpit entwickelt, bei der ein Gurtband als loser Ring um die beiden Sockel des Cockpittisches geführt ist und der Haken des Sicherungsgurtes an diesem Ring eingehängt ist. Sollte man das wollen, könnte man damit angeleint Runden um unseren Cockpittisch joggen. Die Länge des Sicherungsgurtes ist so, daß man an keinem Punkt die Reling erreichen kann. Das soll so sein – ein guter Gurt soll ja verhindern, daß man über die Reling geht oder zwischen Deck und dem unteren Relingsdurchzug durchrutscht – bloß beim Kotzen ist es unpraktisch. Ich versuche, da noch mal was zu verbessern.

Der erste Eindruck von Klaipeda war schlecht: Industriewüste, Geruch nach Ölraffinerie, ein riesiges Kreuzfahrtschiff direkt neben der Anlegestelle für Yachten, heulender Wind und Dauerregen. Birgit war trotzdem schon eingeschlafen, bevor der letzte Festmacher dran war. Ich dagegen hatte die perfekt ausgeschlafene Emma am Hals bzw. zu beschulen. Erst mal ein paar TUC-Kekse mit Butter machen … Nach kurzer Zeit kam der Hafenmeister und teilte mit, daß wir den Platz wieder räumen müßten. Unterbrochen durch laute Durchsagen vom Kreuzfahrtschiff, wann sich welche geführte Gruppe wo an Bord treffen soll, habe ich geantwortet, daß ich den Platz auch gern schnell wieder räumen möchte, er dazu aber bitte erstmal einen besseren finden soll. Er hat uns dann einen im viel netteren inneren Hafen in einem ehemaligen Schloßgraben gefunden und wir durften auch noch ein paar Stunden warten mit dem Verholen, damit Birgit noch eine Weile schlafen konnte. Auch die gefürchtete Zollabfertigung blieb uns erspart. Es hätte Birgit bestimmt nicht gefallen, von eimem litauischen Zöllner geweckt zu werden. Wir waren bei der Annäherung an Klaipeda noch auf See über Funk gerufen worden mit Fragen zu Flagge, letztem Hafen, Personen an Bord und deren Nationalität. Man hat uns gesagt, wir sollten uns wieder melden, wenn wir festgemacht hätten. Als ich mich dann gemeldet habe, gab es nicht den erwarteten Besuch von Zollbeamten sondern nur die Aufforderung, uns bei der Abfahrt über Funk wieder abzumelden.

Die Drehbrücke wird geöffnet
Die Drehbrücke wird geöffnet

In den Schloßgraben gelangt man durch eine historische Drehbrücke, die stündlich von zwei Hafenmeistern mit Muskelkraft geöffnet wird, die dazu zigmal im Kreis laufen müssen. Der Liegeplatz war gut – ohne Ölgestank, dafür mit rauschenden Bäumen und neben dem einzigen fremden Boot – aus Finnland.

Der Klabautermann kommt über die Hafenmauer gekrochen
Der Klabautermann kommt über die Hafenmauer gekrochen

Als Bootsreisender hebt man angesichts eines neuen Hafens immer den Blick auf die Masten und sucht nach welchen mit Gastlandflaggen dran. Das sind fremde Boote, die meistens bewohnt sind, und von denen man viele Dinge über den Ort oder das Land, das Wetter und die Weiterreise erfahren kann.
Die Finnen Matti und Riitta waren schon mehrere Tage da, wegen schlechten Wetters, und haben uns mit wissenswertem über die Stadt versorgt und später auch über finnische Häfen.
Die Stadt machte auf mich einen ganz netten aber irgendwie doch ein wenig trübseligen Eindruck. Ich hatte vor dieser Reise außer mit Ost-Berlin keine Erfahrung mit der ehemaligen Sowjetunion und lerne jetzt langsam dazu. Gut gefallen hat mir, daß keiner der Läden in der Altstadt zu einer Kette gehört. Auch in Danzig war nur das große Einkaufszentrum voller Ketten – die allerdings genau die gleichen wie in Kiel. So muß es wohl früher, als ich ein kleines Kind war, auch in Deutschland gewesen sein.

Düne mit Nida in Hintergrund
Düne mit Nida in Hintergrund

Wir waren drei Nächte in Klaipeda, wegen schlechtem Wetter. Am zweiten Tag sind wir mit Fähre und Bus auf die Kurische Nehrung gefahren. Der Hauptort Nida ist touristisch.

Hafen von Nida und einizges Boot mit Gastlandflagge
Hafen von Nida und einizges Boot mit Gastlandflagge

Es gibt außer den Wanderdünen aber auch einen Yachthafen und es lag immerhin ein Boot mit Gastlandflagge dort, aus Schweden.

Wanderdüne - die dunkle Landzunge im Hintergrund gehört schon zu Rußland
Wanderdüne – die dunkle Landzunge im Hintergrund gehört schon zu Rußland
Litauische Küche in nettem Restaurant
Litauische Küche in nettem Restaurant

Am Mittag des vierten Tages mußten die Hafenmeister wieder für uns im Kreis laufen denn es ging weiter nach Norden, möglichst an Lettland vorbei bis nach Estland, so der Plan.

Hochdruckwetter auf dem Weg nach Norden
Hochdruckwetter auf dem Weg nach Norden