Das Land der doppelten Buchstaben

Als nächstes kommen wir nach Estland. Auf der Lotsenkarte der östlichen Ostsee, die seit letztem Jahr zu Hause an unserem Kühlschrank hängt, hat Emma den Namen in „Essland“ geändert (und Litauen in Lilauen).

Das erste Stück Estland, das wir zu sehen bekommen, ist die Insel Saaremaa und deren Hauptort Kuressaare. Man merkt es gleich, auch hier und nicht nur in Finnland sind doppelte Buchstaben sehr beliebt. Außerdem ist alles unheimlich sauber und ordentlich.

ausgebaumte Genua
ausgebaumte Genua

Nach einer Nacht und einem Tag auf See in recht ruhigen Bedingungen, motorsegeln mit achterlichem Wind, für ein paar Stunden ist der Motor auch aus, fahren wir durch eine lange ausgebaggerte Zufahrtsrinne und kommen in einen netten kleinen Hafen mit ruhiger Abendstimmung.

Ankommen in Kuressaare
Ankommen in Kuressaare

Ein anderes deutsches Boot gibt uns Liegeplatzhinweise. Der Hafenmeister ist schon gegangen aber der „Sadaama Pubi“ hat noch auf (Sadaam heißt Hafen und Pubi ist wohl aus England importiert).

Abendruhe in Kuressaare
Abendruhe in Kuressaare

Am nächsten morgen stellt sich heraus, daß der Hafenmeister für EUR 40 ein Auto vermietet. Der Vermietvorgang besteht nur aus dem Vorzeigen eines Führerscheins und dem Ausfüllen eines kleinen Formulars. Das Auto steht auf dem Parkplatz gleich daneben. Alles zusammen dauert keine 5 Minuten. Daran können sich Hertz und Co ein Beispiel nehmen. 5 Minuten vom Betreten des Büros bis zum Wegfahren schafft man nicht mal mit der Platin-Diamant-Kundenkarte. Im Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria ging es 2014 allerdings noch unkomplizierter. Wir hatten von anderen Seglern gehört, daß man von einem dort wohl hängengebliebenen Segler vom ersten Boot an unserem Steg Autos mieten kann. Wir klopfen an. Ein Kopf taucht auf. Wir tragen unser Anliegen vor. Er stellt nur eine Frage: „Wie heißt euer Boot und wo liegt ihr?“. Mit der Antwort zufrieden sagt er, daß das Auto da hinten steht, daß die Tür offen ist, der Zündschlüssel unter der Fußmatte liegt, wir wieder tanken sollen und das Auto genau so dort wieder abstellen sollen. Die Mietgebühr soll auch unter die Fußmatte, natürlich in bar. Da kommt wohl niemand anders mit.

Meteoritenkrater auf Saaremaa  - der Meteorit soll nur 3 bis 6m Durchmesser gehabt haben
Meteoritenkrater auf Saaremaa – der Meteorit soll nur 3 bis 6m Durchmesser gehabt haben

Mit dem Auto fahren wir auf Saaremaa herum, zu einem Meteoritenkrater und einer Windmühlenausstellung sowie zu einem „Selver“ Supermarkt.

Windmühlenmuseum
Windmühlenmuseum

Es ist eine süße Insel, die stark an Schweden erinnert. Dorthin gab und gibt es wohl vielfältige Beziehungen. Als gegen Ende des 2. Weltkriegs die rote Armee anrückte, sind viele der Eingeborenen nach Schweden geflohen.

Festungsanlage von Kuressaare mit Stuhl davor
Festungsanlage von Kuressaare mit Stuhl davor

Am nächsten Tag geht es weiter durch einen Sund zwischen mehreren Inseln und dem Festland Richtung Tallinn, der estnischen Hauptstadt. Unterwegs nach Saaremaa hatten wir uns schon entschieden, den Wettlauf gegen die Zeit aufzugeben. Wir haben unser Visum für Rußland zu früh bestellt (meine ich) bzw. ich habe zu lange mit Erledigungen herumgetrödelt (meint Birgit). Jetzt müßten wir wild hetzen, um kurz vor Ende des Visums mit dem Boot nach Sankt Petersburg zu kommen, damit wir uns dort wenigstens noch kurz umsehen können. Das ist anstrengend und wird irgendwie zu einem Selbstzweck, der keinen Sinn macht. Damit wir trotzdem nach Rußland kommen, wollen wir von Tallinn aus mit dem Bus hinfahren – ca. 280km für nur etwas über 100 Euro für uns drei, hin und zurück.
So geht es also etwas ruhiger aber noch nicht entspannt nach Tallinn mit einem Zwischenstop im nagelneuen und sterilen Fährhafen Kuivastu. Am ersten Tag kommt uns ein riesiges Regattafeld entgegen. Das in Führung liegende Boot passiert uns in einer viertel Meile Abstand. Wir können die Crew auf der hohen Kante sitzen sehen. Sie kommen von Tallinn und es geht wohl in einem Rutsch nach Danzig (dort war angekündigt, daß die ganze Marina gesperrt sein würde für eine Regatta). Ich weiß nicht, ob ich Lust hätte, in meiner Freizeit 550 Meilen, 3 Tage und Nächte oder auch länger, auf der hohen Kante zu sitzen. Aber sollte einem schlecht werden, ist man gleich optimal positioniert.

Fahren nach Linien
Fahren nach Linien

Ab Kuivastu geht es durch verwinkelte Fahrwasser zwischen kleinen und großen Inseln und in flachem Wasser mit großen Steinen drin. In der Karte sind deshalb Linien eingezeichnet, zusätzlich zu eventuell vorhandenen Fahrwassertonnen. Bleibt man auf der Linie, ist man sicher, weil alle hier langfahren, und wenn niemand vor uns auf einen Stein gebrummt ist, sind wohl keine da. Weicht man ab, geschieht das auf eigenes Risiko. Das „Linienfahren“ wird uns längere Zeit erhalten bleiben, von Estland über Finnland und Schweden bis südlich von Stockholm. Es ist immer noch Hochdruckwetter mit wechselnden schwachen Winden aus achterlichen Richtungen – also wieder Motorsegeln mit kurzen Segeleinlagen.

Harry Potter Band 4
Harry Potter Band 4

Bis Tallinn sind es 90 Meilen, von Vormittags bis Mitternacht. Wenn es etwas geradeaus geht und wir Empfang haben, sehe ich nach Liegemöglichkeiten in Tallinn und lese sonst in einem Segelbuch auf Kindle – das geht gut im Cockpit mit meinem Handy. Emma macht Schule, sieht Mediathek-Folgen, die ich mit Hilfe eines Mediathek-Download-Programms und einem VPN beschafft habe, oder liest Harry Potter (aus dem Ausland funktioniert die ZDF Mediathek nicht aber mit dem VPN kann man so tun, als wäre man in Deutschland).

kleine Wäsche unterwegs
kleine Wäsche unterwegs

Birgit ist Lehrerin in Emmas Schule, wäscht etwas Wäsche und legt einen Wellness-Tag ein mit Strähnen färben. Zwischendurch stelle ich für eine halbe Stunde den Motor aus und genieße bei 4 bis 5 Knoten Fahrt die Abendruhe. Danach weiter motoren – wir wollen schließlich irgendwann ankommen.

Sonne geht unter
Sonne geht unter
Mond geht auf
Mond geht auf

Gegen Mitternacht motoren wir bei spiegelglattem Wasser über die Bucht von Tallinn, zusammen mit ein paar wie Christbäume beleuchteten Fähr- und Kreuzfahrtschiffen. Es geht nicht in die „Old City Marina“ im Zentrum von Tallinn sondern nach Pirita, ein riesiger Yachthafen in zerbröckelnder 70er-Jahre Betonarchitektur. Es ist das Segel-Olympiazentrum, das zu den Moskauer Olymiaspielen von 1980 gebaut wurde, und es ist kein Stück schöner als Kiel-Schilksee (1976er Olympiade in München). Hier ist es aber viel billiger als in Tallinn (31 statt 55 Euro) und wir wollen ja drei Tage nach Sankt Petersburg.